Freitag, 14. April 2017

Die ledrigen älteren Herrschaften.

Liebe Thi Yenhan Truong, darf ich Dich Thi nennen? Also, Thi, ich gehöre zu den älteren Herrschaften, auch was die ledrigen Teile betrifft, die Du so nett beschrieben hast. Ich wusste nicht, dass es bento gibt. Habe das durch Zufall entdeckt und vor allem Deinen Brief vom 13. April sehr erfrischend gefunden. Deshalb werde ich jetzt gelegentlich bei bento reinschauen. Du hast also vietnamesische Wurzeln, bist weiblich und deutsch. Ich selbst habe deutsche Wurzeln, bin männlich und lebe in Großbritannien mit meiner englisch bewurzelten Frau. Insgesamt habe ich über 30 Jahre in sechs verschiedenen Ländern verbracht. Wir lachen oft zusammen, über unsere Nacktheit und natürlich über vieles andere. Die meiste Zeit meines/unseres Lebens habe ich in Ländern verbracht, in denen die Nacktheit einigermaßen toleriert wird, aber noch nicht  zum Dogma erhoben wurde, wohl wegen der (angeborenen) Scham.


Wie Du mit der gewollten Nacktheit der Deutschen umgehst, beschäftigt mich, denn auch mich hat das Nackertsein immer beschäftigt. Doch nur der Sitz in der finnischen Sauna hat für mich den Status  der Normalität erreicht. Es muss also so etwas wie die Schamlosigkeit des beidgeschlechtlichen Saunierens geben. Wenn Du beschreibst, wie die Genitalien betont lässig im Saunabereich sachte vor und zurück schaukeln, kann ich mich vor lachen kaum halten. Dass im Fernsehen schon vor 23 Uhr weibliche Nippel und ab und zu mal Venushügel zu betrachten sind, von Penissen ganz zu schweigen, ist inzwischen Allgemeingut. Und das ist gut so, wenn auch nicht für die Pornoindstrie.


Als älterer Mensch, der stolz noch Lederhosen tragen durfte, erinnere ich mich, mit welcher Abscheu meine unverheiratete katholische Tante das Wort "Gebambel" in den Mund nahm, um voller Verachtung das männliche Geschlecht zu beleidigen. Ich, als Kind, wusste was gemeint war und fühlte mich getroffen. Ja, ich war alarmiert, denn mein Schamgefühl sagte mir bereits, dass ich beim Pinkeln in einer öffentlichen Toilette schützend mein Händchen vor meinen Schniedel halten musste, damit der Nachbarpinkler mir nichts "abgucken" konnte.


Dann kam die etwas schwierige Zeit der Pubertät. Ich verbrachte 2 Wochen mit einem Schulfreund auf der schönen Insel Sylt, ohne zu ahnen, dass die FKK-Strände eine Art Sündenbabel für die gehobene Klasse waren. Man durfte dort nur  unbekleidet herumwandern. Mutig streiften wir alles ab, legten die Sachen in eine Sandkuhle und wanderten los. Es war uns schnell aufgefallen, dass das Fehlen unserer Badehosen uns als Neuankömmlinge verriet, denn unsere Bräune reichte nicht bis zum Po, vom Gebambel ganz zu schweigen. Dann sahen wir sie: Sie waren fett, spielten Ringtennis oder Strandball, ihre Brüste wabbelten und bei den Männern die Wampe. Es gab auch die Hübschen, die sich gierig sonnten. Das pubertäre Auge hatte sich schnell an alles gewöhnt. Sonst war da nichts. Verstanden habe ich das jedoch nie so richtig. Ein Gefühl der Freiheit?


In Island, dann, bei einem Besuch in Reykjavik, geschah das Ultimative, jedenfalls für die  meist weiblichen Besucher jenes Museums: die erigierten Phallen oder Phallusse der isländischen Nationalmannschaft, in silbriger Aufmachung. Wir hatten zufällig das einzige Penismuseum der Welt gefunden. Die meisten dieser Phallen waren jedoch von Walen, 17 an der Zahl. Eindrucksvoll. Jetzt frage ich mich, warum in den prüden Vereinigten Staaten von Amerika, mit einem Präsidenten von bedrückender Männlichkeit (lachlach), es immer noch verpönt ist, männliche Nacktheit und nackte weibliche Schönheit hollywoodmäßig zur Schau zu stellen. Andererseits werden kleine Jungs von (weißen) Polizisten erschossen, wenn sie im Afrolook daherkommen. Ich verstehe die Welt ohnehin nicht mehr, aber Deine Ermahnung zur seltsamen deutschen Nackt(un)verschämtheit teile ich von ganzem Herzen, liebe Thi. Ich bin der Wolfgang (und steinalt).

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