Freitag, 24. März 2017

Der Tod ist kein Freund.

Wenn wir lachen, haben wir ihn überwunden. Den Gedanken ans Sterben. Aber immer nur für Augenblicke. Er kommt wieder. Auch der Tod lässt sich nicht verdrängen. Hin und wieder, nicht etwa wenn der Himmel dunkelt, oder Güsse von Regen niedergehen, sondern weil wir endlich sind, unsere Erfahrungen damit machen und immer wieder an das Ende denken müssen.


Ab einem gewissen Alter beginnt der Abschied von den Lieben. Zuerst Mutter, dann Vater, dann Tante. Dann war niemand mehr da. Als Mama an Bauchspeichelkrebs starb, hatte ich sie noch kurz zuvor in der Klinik besucht. Sie schien Angst zu haben, einmal allein in einem Heim zurückgelassen zu werden. Ich sagte ihr, das würde zu meinen Lebzeiten nie geschehen. Sie war beruhigt. Wenige Tage später beendete ich eine internationale Sitzung in Straßburg. Bei meinen Schlussworten öffnete sich die Tür zum Saal, und eine italienische Kollegin stellte sich wartend an den Ausgang. Ich weiß nicht mehr, ob ich zuerst eine Ahnung hatte, als sie zu mir trat, oder ob ich es mir einbilde. Deine Mutter ist gestorben. Frau und Kinder wussten es schon, doch ich musste sofort meine Schwester in Alabama anrufen, die wie durch ein Wunder sofort zu erreichen war. Wir hatten keine Mutter mehr, und ich konnte in ihren letzten Stunden nicht bei ihr sein.

Herbst des Lebens in der Ferne 
Bei meinem Vater wiederholte sich das Schreckliche: Ich hatte ihn ins Krankenhaus begleitet. Der Chefarzt sagte mir, er würde ihn wegen seiner großen Schwäche für 2 Wochen dort behalten und mich dann informieren. Ich fühlte mich zuversichtlich, begann meine Arbeit an einem Montag Morgen. Wieder leitete ich eine Sitzung, an deren Ende meine Kollegin Maura an der Tür wartete. Mein Vater war in der ersten Nacht im Krankenhaus verstorben. Meine Schwester konnte nicht zur Beerdigung kommen. Unsere Eltern waren für immer von uns gegangen. Unsere Heimat ausgelöscht. Es lebte nur noch unsere geliebte Tante, der letzte Pfeiler unserer Familie. Sie durfte bis zum Alter von 93 Jahren leben, in einem gut gepflegten Haus, mit Ärzten, Terrasse, eigener Miniküche und den regelmäßigen Besuchen ihres Neffen. Als ihr Leben zuende ging, setzte ich mich zu ihr ans Bett und sagte ihr alles, was ich ihr zu sagen hatte. Es gehörte viel Mut dazu. Ich wünschte, ich hätte schon viel früher in meinem Leben all die Dinge sagen können, die ich mich nie traute zu sagen.


Bei einem meiner Besuche in Amerika haben meine Schwester und ich festgestellt, dass wir seit dem Ableben der Eltern uns alleine fühlen, trotz Ehepartnern und Kindern. Auch das Elternhaus gibt es nicht mehr. Wir leben im Ausland, Lilly seit über 50 Jahren und ich seit 40 Jahren. Den Verlust lieber Eltern verschmerzt man nie. Dankbarkeit und Erinnerungen vermischen sich. Jetzt, im Alter wo wir selbst an den baldigen Abschied denken müssen, kommt die Leere manchmal unversehens angekrochen. Wie eine kalte, nasse Decke legt sie sich über uns. Ein Glück, dass es beiderseits des Ozeans Menschen gibt, die wir lieben. Doch das Alleinsein ist etwas, das auch unsere Eltern kannten. Jeder Mensch kennt es. Wir müssen es überwinden. Draußen haben sich die Wolken verzogen. Die Sonne ist wieder da. Meine Schwester hat bald Geburtstag. Ich werde am Telefon einen Sektkorken knallen lassen und auf unser aller Wohl anstoßen.


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