Freitag, 3. Februar 2017

Kein Thema, aber heikel.

Heikel, aber kein Thema. Man muss darüber reden, ohne das passende Vokabular zu besitzen. Vor genau drei Jahren habe ich darüber geschrieben. Wir wollen es nicht ein Thema nennen. Ein Thema ist das Essverhalten von Rhesusäffchen, oder der Schwung der Nonnen, beim Fußballspiel. Meinetwegen auch der zweimetergroße katholische Japaner aus Nairobi, der gerade einen konfessionslosen finnischen Gärtner standesamtlich geheiratet hat. Da es alles schon einmal gegeben zu haben scheint, kann man es auch thematisieren.


Tabus und Minderheiten haben etwas Gemeisames: man spricht selten darüber und ist im Gebrauch der Worte unsicher. Dennoch, wer die Welt beobachtet, macht immer wieder neue Entdeckungen. Nie-da-Gewesenes ist da besonders spannend, wenn es aus dem Dunkel des Unwissens heraustritt und althergebrachte Meinungen über den Haufen wirft. Da nicht alle Menschen heute gleichzeitig dieselben Informationen aus dem Internet oder den Medien entnehmen, können sich Minderheiten bilden, die von der Gesellschaft ausgeschlossen oder auch ignoriert werden.

Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schon vor Jahren geurteilt hat, dass es ein Recht auf Änderung der Geburtsurkunde gibt, wenn eine Geschlechtsumwandlung stattgefunden hat, scheint das in den Köpfen vieler immer noch ein Thema zu sein. Auch die Gleichbehandlung von Zwergmenschen, Mongoloiden oder sexuell andersgearteten Mitbürgern scheinen Probleme zu verursachen bei Mehrheiten, die es eigentlich nichts angeht. Alle, die eher einer Minderheit angehören, können ein Lied davon singen. Dabei sind viele Ausnahmen im Leben besonders bemerkenswert und liebenswert.


Wir leben in West-Yorkshire, im Norden Englands, wo Radio 4 von der BBC zu den seriösen Informationseinrichtungen gehört. Ein Mann erwartet ein Kind, höre ich da, mitten in der Nacht, mit meinen Ohrstöpseln auf, damit Cath nicht gestört wird. Ich bin alarmiert, obwohl mir die Tatsache, dass Männer schwanger sein können, vertraut ist. Was mich sehr beeindruckt hat, war der vorsichtige Stil, in dem das vorgetragen wurde, und natürlich durfte das direkte Gespräch mit dem Mann nicht fehlen. Zuerst ging es ums Verbale: Schwangerschaft ist also nicht nur Frauensache, sondern man kann (geschlechtsneutral) von schwangeren Leuten sprechen, wenn man korrekt sein will. Also kein sensationslüsternes Eindringen in die Verletzlichkeit eines Menschen, sondern offenes und einfühlsames Reden mit jemandem, der einer winzigen Minderheit angehört.

Vielleicht gehört der junge Mann, der da interviewt wird, nicht einmal dieser Minderheit an, weil er sich allein fühlt. Er sagt, er sei auch noch nicht schwanger, wünsche sich jedoch ein Kind in seinem Leben. Sein Partner, der mit ihm in Liebe verbunden sei, auch bevor er die Umwandlung von Frau zu Mann vollzogen hat, teile diesen Wunsch. Die weiblichen Geschlechtsmerkmale wolle er nicht verlieren, doch die Brüste habe er sich entfernen lassen.


Ohne viel Wert auf die verstaubten moralischen Vorstellungen von Kirchen oder bestimmten Gruppen in der Gesellschaft zu legen, kann man sich vorstellen, welchen Weg jemand gehen muss, der sein Geschlecht wechselt. Niemand kommt auf diese Idee aus Jux und Dollerei. Es ist mit großem Schmerz und Mut verbunden, und verlangt große Einfühlung auf allen Seiten. Wer hätte das Recht, dies zu verurteilen? Etwa die Hexenverbrenner früherer Zeiten? Das kann nicht sein. Wer die Plumpheit unserer rechtsgerichteten Welterklärer in Amerika, Deutschland, England, Frankreich und und und zur Kenntnis nimmt, ohne laut aufzuheulen, muss auch akzeptieren, dass der Mensch viele dunkle Seiten hat, die ertragen werden müssen. Dazu kommen die typisch menschlichen Seiten, die erfreulich sind: Liebe, Verständnis, Hilfsbereitschaft und, wie gesagt, Einfühlung. Dass wir auch an unserer Ausdrucksweise arbeiten müssen, versteht sich von selbst. Plumpheit war nie die feine Art. Also, hinschauen, statt wegschauen. Mit Liebe und Verständnis den Dingen in die Augen schauen:
Eine Frau ist ein Mann geworden und wünscht sich ein Kind. Das kann sehr schön sein.







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