Dienstag, 14. Februar 2017

Die wahre Liebe

Was höre ich da im Radio? In England lebt ein hundertjähriges Paar (sie 100, er 103), das seit 80 Jahren miteinander verheiratet ist und den Satz Ich liebe dich noch nie ausgesprochen hat. Nein, die beiden sind nicht taubstumm, denn sie haben sich im Radio klar und verständlich geäußert. Wir lieben das Wort Liebe nicht, sagen sie, es gibt so viel Missbrauch dieses Wortes, dabei betrügen und lügen sie, und bringen sogar diejenigen um, die sie zu lieben vorgeben. Nun, das ist ein Standpunkt, den man sich zu eigen machen kann aber nicht muss. Ein wenig mühsam ist es schon, sich zu lieben, ohne es  sich wenigstens einmal im Leben gesagt zu haben. So sind die Menschen verschieden.

Schon so spät? 
Die Frage ist doch, wie bringe ich das bei der ersten Verliebtheit hinüber? Wortloses Erröten mag ja ganz knuffig sein, aber wer es nicht über die Lippen bringt, hat irgendwann verloren. Dabei ist Liebe keine Sache, die sich abstufen lässt. Sie kann etwas unterkühlt daher kommen, von nervösen Zuckungen untermalt, oder durch Wedeln mit den Armen unterstrichen werden. Die Art und Weise jedoch, wie man es sagt, ist wie eine Visitenkarte. Dabei kann auch die schrägste Unbeholfenheit Glück auslösen.


Doch was tue ich, wenn ich das Alter erreicht habe, von dem Jugendliche annehmen, dass Liebe oder gar Sex der Vergangenheit anghören? Ich war noch keine 20 als ich in Paris auf offener Straße ein küssendes Paar sah. Ich konnte es nicht glauben: die beiden waren mindestens 40 Jahre alt. Widerlich! Inzwischen weiß man, dass ein Viertel der befragten Männer noch mit über 85 Sex haben. Und - siehe oben - noch mit 103 so etwas wie Liebe empfinden.

Indifferenz mag es in jedem Alter geben, Hass in der Kindheit scheint mir aber ein Übel zu sein, das von Erwachsenen inspiriert wurde. Doch Liebe gibt es immer und überall, sogar bei Tieren, wenn man den unzähligen Internetbeispielen glauben darf (warum nicht?), die Elefanten beim Knuddeln zeigen, oder Wölfe beim liebevollen Lecken von Babys. Auch der Ausdruck von Liebe hat sich heute sehr gewandelt. Das Mechanische daran ist das international hoffähige "I love you (all)", das wir aus den Medien kennen. Solche Liebe ist relativ uninteressant.


Wunderschön hingegen ist das stumme Sichanlächeln, nach vielen Jahren der friedsamen Zweisamkeit, wenn bei ihr der Busen etwas hängt und bei ihm der Muskelberg geschrumpft ist. Man kennt seine eigenen Schwächen und die des geliebten Partners. Wenn der Impuls des ersten Eingeständnisses nicht nachgelassen hat und vor lauter Liebe sich das Erröten nicht mehr einstellen mag. Dann weiß man, dass es Liebe ist. Muss man sich ständig darüber informieren, dass man sich liebt? Auch nach der Diamantenen Hochzeit kletterte meine winzig gewordene Oma jeden Morgen auf ihren Schemel, um Opas Scheitel glatt zu ziehen. Den Kragenknopf hatte sie schon befestigt. Dann wartete er auf seinen Kuss auf die Stirn. Den bekam er. Ein Ritual, das sich nicht mehr änderte. Ich war neugierig genug, es mir anzuschauen und liebte kindlich mit. Heute weiß ich, dass man auch im hohen Alter herrlichen Sex haben kann und, dass es nichts Schöneres gibt als ICH LIEBE DICH.

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