Montag, 23. Januar 2017

Kulinarische Heimkunft



Das Vereinigte Königreich - wir leben seit über einem Jahr hier in Yorkshire - ist schon lange keine gastronomische Brache mehr. Der dank eines Weihnachtsinterviews im letzten SPIEGEL und verschiedener Publikationen auf Deutsch auch in der Bundesrepublik bekannte Nigel Slater, ist jemand, auf den man hören kann, wenns ums Essen geht. Schon als Kind konnte er mit Genuss essen. Das kleine Buch Toast beschreibt liebevoll, was sein Vater für ihn kochte, als seine Mutter verstorben war, nämlich zu Weihnachten, Sherry Trifles. Mit einem fertigen Boden, Pfirsichen aus der Dose und Himbeermarmelade, dazu ein strammer Schluck Sherry, machte Vater Slater seinen Kleinen glücklich. Seither gibt es bei Nigel zum Fest eben Trifels, einen Schleckkram, der für die kulinarische Heimkunft unseres Food-Experten wichtig ist, jedoch gastronomisch kaum ins Gewicht fällt. Nigel nennt das nostalgisches Essen. Seine Autobiographie Toast gibt es auch auf Deutsch unter Halbe Portion.



Als Nigel dann eine neue Mammi bekam, was ihm zunächst garnicht passte, wurde sein Widerstand dadurch gebrochen, dass sie als begabte Köchin den kleinen Stiefsohn durch allerhand Schmankerln auf ihre Seite zog. Inzwischen ist Nigel Slater ein bekannter Essautor und Journalist, der seine kulinarische Kirche gerne im Dorf lässt. Unsere Gesellschaft sei puritanisch. Was wir essen, sei eher von Schuld und Scham gesteuert als von Geschmack und Vergnügen. Entsprechend lesen sich etwa seine 250 Rezepte durch das Jahr in Das Küchentagebuch wie eine poetische Zusammenfassung all dessen, was schmeckt. Nigel macht die Lust am Essen leicht wie Schlagsahne. 


Angesichts der allgegenwärtigen Ernährungspanik erkennt er, dass sein Land gegenwärtig aus dem Ruf, ein kulinarisches Entwicklungsland zu sein, sichtbar ausbricht. Im Fernsehen und in den anderen Medien gibt es Wettbewerbe zuhauf. Köche wie James Oliver sind inzwischen weltberühmt. Während der Brite auf dem Land oft noch alten unattraktiven Essgepflogenheiten nachhängt, ist London, die Hauptstadt, ein Pflaster, wo es fast keine britsche Küche mehr gibt. Stattdessen, tummeln sich dort seit Jahren exotische Restaurants. Essbritannnien, eine zweigeteilte Nation.



Wir sind in unserem Haus im Schwarzwald. Kinder und Freunde besuchen und Heimatessen auftanken. Ich wage es nicht, mich an den weihnachtlichen Gänsebraten zu erinnern. Aber an das Gebäck: Stollen, Dresdner, Hildabrödle, Zimtsterne, Springerle. Markklößlesuppe, oder badische Schneckensuppe. Ackersalat mit Kracherle. Käsespätzle. Sauerbraten mit Schupfnudeln, badische Dampfnudeln mit Weinsoße oder Dörrobst. Schon die Aufzählung ist köstlich chaotisch. Rehrücken Baden-Baden, oder, fern vom Winter, Spargeln mit Schinken, Pfannekuchen und den 4 Soßen. Das alles kann mich, wenn der Duft der Speisen sich einstellt, in meine Kindheit zurückrufen, ein Glücksmoment, wie ihn Nigel Slater kennt. Am Neujahrsmorgen, dann, die frischgebackene Neujahrsbrezel mit viel Butter. Das ist kulinarische Heimkunft.

Nigel Slater loves food 
Zurück in Haworth gibt es wieder den frischen Fisch. Manchmal eine richtig gute Gemüsesuppe. Während Cath ihre leicht exotische Kochphase zum Tragen bringt, mache ich mir einen Gin&Tonic und warte auf den Apple crumble, zu dem ich dann noch einen G&T trinke. Die Dead man’s legs hat ihr Vater erfunden, um little Cath nach der Schule aufzuheitern. Sie behauptet, dass das köstlich schmeckte, doch den Beweis ist sie mir bis heute schuldig geblieben. Also essen wir unbadisch. Bei den vielen Möglichkeiten im Brexitgeladenen England, kann das Essen eine ungewohnte Entdeckungsreise werden. Das ist es doch, was wir Feinschmecker wollen: mit Lust und Liebe das essen, was dem Magen am besten zusagt. Und kein schlechtes Gewissen dabei  haben. 




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