Montag, 12. Dezember 2016

Wer ich wirklich bin. Ortsbestimmung.

In der englischen Stadt Bristol werden 91 verschiedene Sprachen gesprochen. Im recht kleinen Zypern müssen es mindestens 20 sein, neben Griechisch, Türkisch und Expat-Englisch. Bei Städten wie Berlin oder Hamburg dürften es ebenfalls um die 100 Sprachen sein, die dort vertreten sind. Allein in Indien, mit 1,3 Milliarden Menschen gibt es 461 Sprachen verschiedener 'Familien', 447 sogenannte Lebendsprachen und 14 ausgestorbene. Zur Zeit sind 13 Sprachen am Aussterben. Interessant vielleicht auch, dass 10 Millionen Menschen 'sprachlos' sind, also taubstumm.


Wer versuchen möchte, herauszufinden, wer er ist und woher er kommt, kann auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Sprachen, denen ich mindestens 2 Jahre meines Lebens ausgesetzt war, sind meine Muttersprache (Deutsch), mit Badisch, Elsäßisch und Schwyzerdütsch. Französisch, Türkisch, Englisch bildeten Sprachräume, in denen ich gelebt habe. Völker und deren Sprachen können vermitteln, was man gemeinhin als Kultur und Lebensart bezeichnet.

Wer mit einem Partner, einer Partnerin anderer Nationalität und Herkunft verheiratet ist, kann aus zusätzlichen kulturellen Quellen schöpfen. Auch Konflikte können daraus entstehen. In einem anderen Kulturkreis zu leben, muss nicht heißen, dass man ihn sich total zu eigen macht. Auf den Austausch kommt es an, und auf das, was unter dem Strich übrig bleibt.


Auf dem Weg zu sich selbst hält man gerne inne, von Zeit zu Zeit, zieht Bilanz und fragt sich, wer bin ich? Wo stehe ich? Nachdem ich mit Cath vor einem Jahr in Yorkshire/Nordengland gelandet bin, muss ich es herausfinden. Was ist von der Schweiz geblieben? Dass man übergroßen Wert auf Geld legt? Sauberkeit und Komfort? Schüchternheit gegenüber allem Fremden?

Frankreich hat mich mehr geprägt. Das Essen. Ein gewisser Lebensstil. Der Zentralismus, der natürlich auch Vorteile hat. Paris, das A und O? Alles was gut ist, ist französisch? Das übersteigerte Nationalbewusstsein als Droge? Stille Sympathie für Deutsches? Abneigung gegen den eigentlichen Rivalen England? Ein großes Land hat von allem etwas. Und vieles hat sich mit den Jahren zum Besseren gewandelt.


Zypern? Der türkische Teil: historisch im Osmanischen Reich gewachsen, vom griechischen Teil unterdrückt. Zwei Kulturen mit unterschiedlichen Religionen auf einer Insel zwischen Europa, Asien und Afrika. Ein potenzielles Pulverfass mit unglaublicher Gastfreundschaft. Der Fremde wird hoch geehrt. Orientalische Einschläge und insulares Gehabe. Noch regiert die traditionelle Politik der Abgrenzung gegeneinander. Doch ändert sich alles ganz schnell. Ein Klima zum glücklich sein. Ein Mittelmeer als Lebenselixir.

Drei Jahre Wien machen auch aus einem Deutschen so etwas wie einen Nebenösterreicher. Apfelstrudel und Ähnliches erobert den Zugereisten im Nu. Das Klima ist herrlich. Man atmet Geschichte und nimmt leichten Abstand zur Wiener Lebensart, die für viele Ausländer aber sehr angenehm ist. Ein gewisser Fatalismus passt perfekt zum Zelebrieren des Kaffeegenusses. Eine faszinierende Nähe zwischen Österreichern und Deutschen ist möglich. Man fühlt sich verwandt.


England, das Land meiner Frau, historisch etwas überladen, das Nabel-der-Welt-Gefühl ist noch vorhanden. Der Triumph der englischen Sprache. Der neue Ehrgeiz, endlich zu den Ländern mit eigener Gastronomie zu gehören. Die insulare Seltsamkeit. Der feine Humor und die einmalige Freundlichkeit, die auch im Straßenverkehr dominiert. Vergleiche mit Frankreich/Deutschland fallen, automäßig,  zugunsten der Briten aus. Das Wetter ist das ewige Thema. Und Brexit. Daran knabbern die Briten gerade.


Was fängt man mit alledem an, wenn man herausfinden möchte, wer man ist, denn man hat von allen Aufenthalten etwas mitgenommen. Toleranz, Freundlichkeit, rassen- hautfarben- hassfreies Denken sind die angenehmen Folgen. Das pauschale Urteil wird nur noch in Ausnahmefällen zugelassen, etwa bei Donald Trump, Nigel Farage, Frauke Petry, Marine Le Pen. Für sie gilt: Unreif, lügenhaft, unverständlich, unglaubwürdig. Ich bin heute das Produkt vieler Einflüsse. Ein wenig von jedem und allem. Und, darüber hinaus, fühle ich mich mit meinen Identitäten im Großen und Ganzen zufrieden.



















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