Montag, 5. Dezember 2016

Die Verstimmung merkt man ihm an. Und das, vor dem Fest!

Ein paar Stimmen zu wenig, und der österreichische Bundespräsident hieße jetzt Hofer, wieder so ein rechtsfanatischer Nazisympatisant der FPÖ. Beim Aufatmen, heute früh, das weite Teile der Welt erreicht hatte, denn Alexander Van der Bellen hat klar gewonnen, fiel uns ein, dass der Klavierstimmer vorbeikommen wollte. Wir freuten uns für Österreich, das jetzt einen "normalen" Präsidenten haben wird.

Frieden in Wien. Das Fest kann kommen 
In unserem Yorkshire Haus, das einige Jahrhunderte alt sein könnte, ist es kalt und feucht. Colin bemerkte es sofort. Mit geübtem Griff griff er zum Klavierdeckel und fragte: was für eine Marke ist das? Als Vater Lewis vor zwei Jahren starb, stand das Haus in der Sun Street in Haworth unbewohnt und dem Wetter trotzend und regenerprobt. Für ein Piano nicht gerade ein ideales Klima, zumal seit Jahren keine Finger mehr über die Tasten strichen. Ein Steinway, Bechstein oder Blüthner wäre leicht zu erkennen gewesen, doch dieses Klavier ist die Ausgabe Nummer 3495 der Marke Cecilian, von der wir zuvor nie etwas gehört hatten.


Colin machte sich sofort ans Werk. Mit dem Einsatz eines liebevollen Tierarztes. Die komplizierten Innereien des Klaviers waren im Nu bloßgelegt. Die ich-weiß-nicht-wievielen Oktaven schnell angeschlagen, seine leichte Verstimmung bestätigt. Es war ein mittleres C oder so, das Colin besondere Sorgen machte. Er löste diese Taste heraus und prüfte, wie oder ob sie an der entsprechenden Saite anschlug. Dabei ergab sich auch, dass die schwarzen Tasten zwar aus Ebenholz waren, die weißen jedoch nicht mit kostbarem Elfenbein bedeckt, was uns sicher ein schlechtes Gewissen bereitet hätte. Dann hagelte das komplette Wissen eines gelernten Klavierstimmers auf uns herab. Temperaturoktave aufwärts, Quintenoktave, dann Quartenoktave aufwärts und so weiter.


Cath durfte ein paar Akkorde spielen, um zu hören, wie das alles klang. Der Meister schrieb sich Sachen nieder, und ich versuchte zu verstehen, was in mir vorging, wenn ich Beethovens Mondscheinsonate hörte, oder Debussys Claire de lune. Oder Erik Saties Gymnopédie, ein fantastisches Klavierwerk, das mich immer wieder aufrüttelt. Es wundert mich nicht, dass ich davon nichts verstehe. Ich bin ein Sehmensch, kein Hörmensch, höchstens ein Verstehmensch.


Colin, der aus Bradford angereist war, machte uns klar, dass es unterschiedliche Wege gab, dieses müde Instrument wieder zum Funktionieren zu bringen. Wir sollten uns genau auswählen was wir wollten und es ihn später wissen lassen. Unter 800 € war keine Lösung in Sicht. Sehr viel mehr könne eine komplette Sanierung kosten, die auch etliche Wochen in Anspruch nehmen würde. Dann setzte er sich ans Klavier und spielte Beethoven, Debussy und Satie. Wie ein junger Gott. Bescheiden klang es, als er uns verriet, dass er auch schon in Australien als Konzertpianist gearbeitet hatte, bevor er als Klavierstimmer seine Ausbildung begann. Nur blinde Klavier- oder Cembalostimmer hätten eine gute Chance, die Tontreue auf die Spitze zu treiben. Colin ist für uns die Entdeckung eines musikalischen Universums.







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