Samstag, 19. November 2016

Sex oder so ähnlich.


Pioniere gibt es, das glaubt man nicht. Dr. Ruth Westheimer, eine deutsch-amerikanisch-französisch-jüdisch erzogene Sexologin, in Deutschland geboren, in Amerika aufgewachsen, an der Sorbonne studiert, mit frechem Mundwerk, ist für mich die erste Sexkennerin, die in den 80er (?) Jahren uns per Fernsehen die Scham über die eigene Sexualität ausgetrieben hat. Wenn heute ein Vierjähriger zu seiner Mama sagt, er möchte seine Freundin ficken, oder seinen besten Freund küssen, bekommt er keine gescheuert, sondern Mama erinnert sich vielleicht an die berühmt-berüchtigte Dr. Ruth vom Fernsehen und lächelt verständnisvoll.


Sie hat auch viele Bücher geschrieben, unsere Ruth. In ihrem Werk Heavenly Sex (Himmlischer Sex) befasst sie sich, neben der allgemein freundlichen Einstellung zum Geschlechtsverkehr, auch mit dem Judentum als  besonders sex-begabte Gemeinschaft. Dafür wurde sie auch kritisiert. Die Neigung zum unkomplizierten Sex ist an keine Religion oder Philosophie gebunden. Wo Dr. Ruth jedoch recht haben könnte, ist, den Sex als allumfassende, das Leben bestimmende Quelle der Freude oder auch des Elends zu begreifen.


Bevor Frau Westheimer mit ihren gewagten Ansichten über Sex in unsere Haushalte dringen konnte, mussten wir uns mit Aufklärern vom Schlag Oswalt Kolle herumschlagen. Sein Buch Dein Mann, das unbekannte Wesen, von 1970, schlug so heftig ein, dass eine Freundin von mir es ins Französische übersetzte, mit dem Erfolg, dass Ton mari, cet unconnu auch viele Franzosen  ganz schön entkrampfte. Natürlich widmete Kolle sich auch den Frauen, doch sein Anliegen wurde damals noch mit Argwohn bedacht.

Als ich damals den heroischen Versuch unternahm, meine beiden Ältesten (5 und 4 Jahre) aufzuklären - sie erinnern sich heute noch - sagte das kleine Brüderchen bedeutungsvoll: so ist das also. Das kann heißen, dass Kinder bereits mehr wissen als sie zuzugeben bereit sind. Von meinen Eltern bekam ich nicht einmal die Geschichte mit den Schmetterlingen vorgesetzt. Die elterliche Scham wurde natürlich von prüden Gralshütern der Keuschheit ferngesteuert. Die Kirchen und Schulen waren daran beteiligt, wärend es heute sich outende Bischöfe gibt und die Zahl der bekanntlich enthaltsamen Nonnen ständig zurück geht. Den Durst nach Verbotenem stillten wir Kinder damals, indem wir, sobald die Eltern nicht im Hause waren, das große Medizinbuch aus dem Bücherschrank holten und die einschlägigen Seiten (mit Abbildungen) aufschlugen.


Wie ungehemmt wir heute über Sex und Geschlechtlichkeit reden können, verdanken wir diesen Pionieren, zu denen auch die Masters of Sex gehören, die damals mit ihrer wissenschaftlichen Aufklärung Amerika unsicher machten. Dr. William Masters und Virginia Johnson, seine Mitarbeiterin, waren es, die in den Fünfzigerjahren mit großen Hindernissen zu kämpfen hatten, bevor sie die weltweite sexuelle Revolution auslösten. Dennoch gelten die USA in Sachen Sex noch heute als prüde, im Vergleich zu Skandinavien oder Kontinental-Europa. Während das männliche Glied in vielen Ländern schon einmal im Film gezeigt wird, ohne dass man gleich an Pornographie denkt, bleibt der Penis im amerikanischen Film absolut tabu.

Wo Fortschritte zu verzeichnen sind, ist bei der Differenzierung im sexuellen Verhalten. Es gibt Menschen mit fast Nullinteresse am Sex, bis hin zu denen, die sich als sexsüchtig bezeichnen. Auch die Neigungen zwischen streng hetero zu klar gleichgeschlechtlich und bis hin zu den transexuellen Praktiken werden heute wissenschaftlich begleitet, wobei gewisse "Grenzgebiete" noch  schwer auszuloten sind. Es gibt noch Tabus, doch sind diese allmählich am Schwinden. Wir sind mitten in einem sexuellen Befreiungsprozess.


Ruth Westheimer nahm uns als Sextherapeutin die Unlust und setzte betont auf Lust. Das Interesse am Sex ist hauptsächlich bei jungen Menschen groß. Doch alte Menschen verlieren den Geschmack in der Regel nicht. Vielleicht erklärt das, warum von meinen über 1000 Blogs seit Jahren genau zwei fast täglich aufgerufen werden: Die Penisse von Reykjavik (über ein Phallusmuseum in Island) und Orgasmus, oh, Hildegard (über die Entdeckung des weiblichen Orgasmus durch Hildegard von Bingen). Ich hatte die Wirkung dieser Überschriften unterschätzt. Das tue ich schon lange nicht mehr.

































































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