Dienstag, 15. November 2016

Der Ärger mit der Musik.

Wer kennt sie nicht, diese Melomanen? Ein stilles, wissendes Lächeln auf dem Gesicht, zuweilen vertieftes Lauschen, womöglich mit Stereohörern in beiden Ohren. Oder, korrekt gekleidet, weil man Sir Simon Rattle oder Claudio Abbado sehen und seine Auswahl an Musik hören möchte, auf meist unbequemen Stühlen sitzend. Da fällt mir ein, der großartige Abbado lebt nicht mehr. Auch mein göttlicher  Leonard Bernstein ist nicht mehr. Und Rattle findet die Konzertsäle in England verstaubt und unangepasst. Dennoch: er dirigiert das London Symphony Orchestra. So weit so gut.

Leonard Bernstein 
Von unseren großen Dirigenten wissen wir, dass ihr Repertoir fast unbegrenzt war. Mahler, Tschaikowsky, Beethoven, Wagner, Penderezki, Nono, Strauss (Richard, Johann), Bach und Dvorak. Die Liste ist endlos, jede Auswahl bleibt anmaßend und unvollständig. Der Musikliebhaber jedoch weiß, was er will: sich entführen lassen in vertraute und fremde Welten. Sich überwältigen lassen vom Genie des Komponisten und seines Dirigenten.

Als einer von schätzungsweisen 130 Tausend Deutschen, die heute im Brexit-gesteuerten England leben, flüchte ich mich gerne in meine Musik, von der ich nur Karl-Heinz Stockhausen (mit seinen Vier Helikoptern) mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue versehe. Im Ernst: es gibt hier ein kommerzielles Radio, das sich Classic FM nennt und das den ganzen Tag Ohrwürmer verbreitet. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht gleichzeitig Werbung gäbe, die (Sorry, Brits, but you normally don't speak German) ehrlich gesagt, beschissen ist. Die kleinen Gags, die Versuche, die Hörer mit Angeboten zu überzeugen, sind einfach aufdringlich und blöd. Weder witzig noch stündlich wiederholbar. Die Menschen werden für dumm gehalten und scheinen es zu schlucken, weil sie sicher sind, ihren Lieblingswurm eingespielt zu bekommen, wann immer sie es wollen.

Fish and Chips? 
Das ist wie Spätzle mit Gulasch, nicht jede Woche, sondern jeden Tag, Mittags und AbendsD. Land des Lächelns (natürlich auf Englisch), die Nussknackersuite, Vorspeise oder Nachtisch. Das Lied an den Mond von Dvorak. Wenn ein Hörer oder eine Hörerin anruft und sagt: Hallo, I am going to see my Grandmother who is 85 today. Could you, please, play for us the Hungarian Dances? Dann werden die Ungarischen Tänze halt gespielt. Der Kunde ist König. Hauptsache, die dazwischengequetschte Werbung kommt an. Ich glaube, das ist der große Irrtum.

Abhören von Musik??? 
Man kann behaupten, dass diese Art von Classic FM auch der feinsten Musik durch penetrantes Wiederholen jede Originalität und jeden Charme zerstört. Wer sich an die Werbekampagne für den EU-Ausstieg erinnert, oder es erlebt hat, weiß, wovon ich rede: Hinhören wäre wichtiger gewesen, um Lügen von Wahrheiten und Halbwahrheiten zu unterscheiden. Jetzt sagt man: Wir haben doch nur Vorteile vom Brexit. Wieder gelogen. Das Land des Lächelns wird jedoch bald die Stirn in Falten legen. Dann hat sich's ausgelächelt. Auch die Liebe zur Musik sieht heute anders aus.





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