Sonntag, 6. September 2015

Hans-Dietrich Genscher: Jetzt ist die Gelegenheit!

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Besonders bei Politikern muss man vorsichtig sein. Viele verbrennen nur Strohfeuer und erwarten dann auch noch die üblichen Ehrungen, bis hin zum Friedensnobelpreis. Bei Hans-Dietrich Genscher möchte und muss man nicht warten bis die Nachrufe anstehen. Er stand im Zentrum historisch-politischer Entwicklungen, die geteilte Heimat betreffend, und der größte menschliche Triumph seines Lebens, der halbe Fenstersatz in der Prager Botschaft, den er vor lauter Jubel nicht zu Ende sagen konnte, verdient liebendes Gedenken. Es war im Oktober 1989. Viele DDR-Deutsche waren in die Tschechoslowakei gekommen, weil die Einreise in dieses sozialistische Land damals möglich war. Dann flohen sie in die west-deutsche Vertretung und warteten auf die Befreiung. Genscher war an so vielem beteiligt, dass es schwerfällt, das alles zusammenzufassen.


Vielen hat sein "Verrat" an der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt weh getan. Es war schwer, ihm das zu verzeihen. Seine Karriere als bundesdeutscher Außenminister litt darunter jedoch kaum. Es kam zur Koalition mit der CDU/CSU und zur Kanzlerschaft unter Helmuth Kohl, die auch mit Genschers tatkräftigem Wirken zur Wiedervereinigung führte. Sein Verhandlunggeschick, etwa bei der Schlussakte von Helsinki, heute durch die KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) fortgesetzt, erreichte internationale Dimensionen und überbrückte den Ost-West-Konflikt. Lasst ihn uns nicht so schnell vergessen.

Auch nicht seinen gelben Pulli, der sein Markenzeichen war. Man sagt, er habe mehrere davon getragen. Alle gingen irgendwie bei Auktionen in den Besitz seiner Fans über. Der höchste erzielte Betrag waren über 7000 DM. Das soll ihm ein anderer Außenminister erst einmal nachmachen. Also, wie gesagt, keine abschließende Ehrung für diesen großen Politiker, sondern nur ein ehrender Zwischenruf zu einer Zeit, da viele tausende Flüchtlinge zu uns kommen, die vor unmöglichen Regimen davonlaufen. Sollten wir da Genschers Tat in der Botschaft der BRD in Prag vergessen können, die nach leidvoller Trennung in Ost und West Millionen Menschen zusammengebracht hat?

Lasst uns ab und zu ein wenig geschichtlich denken, bzw. dankbar herumgenschern.





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