Samstag, 11. April 2015

Das Seltsame in uns: sind wir beknackt?

Ich komme seit Jahren nach England. Regelmäßig. Als man mir den Englischunterricht aufdrängte, in einem markgräflichen Gymnasium in der damaligen badischen Hauptstadt Karlsruhe, war in meinem Englischbuch ein ein Engländer abgebildet, der Cecil Rhodes hieß und ein peitschenähnliches Stöckchen in der Hand hielt. Er war der Kolonialherr über Rhodesien. Vielleicht wollte Cecil damit den Schwarzen herumstehenden nur einen freundlichen Wink geben, nur ganz schön artig zu sein. Dann erzählte uns Fräulein Dahl (Name von der Redaktion nicht geändert), unsere Englischlehrerin, sie habe in London auf dem Piccadilly Circus mal einen Mann gesehen, der dort im Pyjama herumlief. Denselben muss ich auch, 30 Jahre später, dort gesehen haben. Die Engländer, wie die Briten geläufig heißen, haben nicht einmal eine Augenbraue hochgezogen. Solches nennen Briten "ganz normal".

Ganz normal? 

In Zentraleuropa liegen die Dinge etwas anders. Wenn einer spinnt, sind sich alle einig. Einer spinnt eben. Und, man spinnt nicht ungestraft. Die Merkel darf nicht im Bikini gesehen werden. Die englische Königin übrigens auch nicht. In England wird einiges als normal empfunden, was sonstwo unangenehmes Aufsehen erregen würde. Die Karnevalsprinzen werden gerne schief angesehen, aber auch der Tippelbruder, der sich die Haare nicht schneiden lässt und dessen Hose Löcher aufweist. Sollte jemand schwarzer Hautfarbe sein oder wie ein Japaner daherkommen, ist für viele schon etwas nicht in Ordnung. Und über viele macht man sich lustig.

Auch in Amerika gibt es eine Lachindustrie. Im Fernsehen kann man diese albernen Sendungen betrachten. Die Lacher werden extra eingeblendet. Da werden komische "Orginale" gezeigt, die als "normal" durchgehen wollen. Ich kann da einfach nicht lachen. Und wenn ein Weißer auf einen Schwarzen schießt, steckt dahinter meist die Verweigerung, unterschiedliche Menschen als gleichberechtigt anzuerkennen. Welche Arroganz! In Zentraleuropa, wo es eine Vielfalt von Völkern, Menschen und Originalen gibt, haben wir ähnliche Schwierigkeiten damit, das Ungewöhnliche als normal zu akzeptieren. Dabei sollten wir alle damit leben können, dass, nahe bei einander ein blonder Jüngling, der wie ein Nazi-Typ aussieht, in Wirklichkeit Jude ist, zum Islam übergetreten, schwul, und ein verzweifelter Fan von Borussia Dortmund. Oder: eine dunkeläugige Schöne mit mediterranem Hintergrund, leicht stotternd, schwerer Akzent und unsachgemäß geschminkt, könnte ein ganz normales Mädchen sein, das unseren Respekt verdient. Es geht eigentlich nur darum, die Latte für Seltsames etwas höher zu legen. Das scheinbar Verrückte als normal anzuerkennen und nicht nur das "Normale", das gewöhnlich etwas langweilig wirkt.

In Großbritannien kann man neben den Normalos die vielen Seltsamen sehen, die völlig schamlos sie selbst sind: sie können hübsch, hässlich, langweilig oder sonstwie sein. Niemand findet das sonderbar. Auch im Film kommt das zutage. Der Mut zur Hässlichkeit, neben der hochherzigen Persönlichkeit. Mit viel, auch gutem Humor. Das macht das Leben in UK so interessant. Daran könnte der europäische Kontinent noch ein bisschen arbeiten. Nicht jeder, der so aussieht ist auch so beknackt. Ein wenig mehr Toleranz kann aus allen ganz normale Menschen machen. Ob sie Muslims, Bettnässer, Zeugen Jehovas oder Exilrussen sind: sie wollen alle nur als Menschen respektiert werden.


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