Donnerstag, 26. März 2015

Das Schnorcheln in der Tiefe

Oder wie soll man es nennen, wenn ganze Bevölkerungsgruppen, vor allem die ganz Jungen, mit gesenktem Kopf in einen Ozean von Hinweisen starren, die ungerufen aus der Tiefe des Internets zu kommen scheinen? Im Bus, in der U-Bahn, im Auto, überall verrenken sie sich, um ihrer Sucht (ist es etwas anderes?) Genüge zu tun. Was wollen sie alle wissen? Brauchen sie Zuwendung, die Mama ihnen nicht bieten kann? Brauchen sie Mama? Und die Älteren? Gehören sie einer unsichtbaren Selbsthilfegruppe an? Wie störrisch wirken die anderen, die, vielleicht in ein Buch oder eine Zeitung schauen oder scheinbar gedankenlos in die Luft? Das Leben ist seltsam geworden. Die einen machen Selfies mit dem Stöckchen, die anderen krümmen den Rücken. An den Ballungspunkten wird telefoniert, gechattet, Finger wundgetippt. Natürlich gibt es noch die rauchenden (Selbst)Süchtigen, die verzweifelt vor den Häusern lungern um eine abzublasen. Aber das Weichbild wird schon lange bestimmt von der anderen Unsitte, dem Handy- Computer- und Internet-Abgreifen. Wie cool. Ehrlich. Internetbeschmutzer?

 Prager Frühling

In Prag sahen wir einen jungen Mann auf einer Parkbank sitzen, in der Morgensonne, und was tat er? Der Arme, er hatte kein Smartphone, kein Mobilfon, keinen Rechner auf dem Schoß, nein, er strickte an einer Wollmütze, so ganz mit Nadeln, Wollknäuel und sichtbar ein paar Stricksachen um sich herum verteilt, die schon fertig waren. Dabei ist er elektronisch ( oder heißt es digital?) durchaus vernetzt: www.klestilknitwear.com. Dort, im Internet, kann man seine Werke betrachten. Natürlich mussten wir Krystof Klestil ansprechen. Ein freundlich lächelnder junger Mann, der völlig normal wirkte, wohl mit beiden Füßen im Leben steht, aber völlig ohne Smartphone. Vielleicht benutzt er dieses Zeug, aber er ist nicht abhängig wie von einer Droge. Das merkt man heute: die Sucht, die Gier nach Kommunikation. Überall. Und dann sitzt da noch einer ohne. Man erkennt die Pionniere unserer Zeit allein daran, dass sie nicht tun was alle machen.

Strickt und strickt und strickt.

Die Statistiken sagen schon eine Menge aus: wer im Schnitt 6 Stunden schläft, 18 Stunden für Arbeit und Sonstiges zur Verfügung hat, verbringt jetzt schon 30 bis 40 Minuten pro Tag am Gerät, um irgendwie etwas herunterzuladen. Und die klassischen 4-6 Stunden vor der Glotze? Das war einmal? Und was wird da aus unserem Fastfoodgeschlinge? Wir haben nur 24 Stunden am Tag. Wer ständig auf Display kuckt, sieht sonst nicht mehr viel: die schönen Busen und Beine, das freundliche Lächeln, die Taube im Park oder, wenn man Glück hat, unseren Krystof, der völlig unbeeindruckt von seiner Umgebung strickt.

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