Dienstag, 10. Dezember 2013

Chanukka - das Licht in der Dunkelheit

Ich liebte meinen Opa. Wenn ich bei den Großeltern war, machte ich mit ihm, der schon 80 war, lange Spaziergänge durch den Stadtpark. Ich muss 5 Jahre alt gewesen sein, als Opa zu mir sagte, es war an einem windigen Novemberabend, "lass' uns zu Herrn Neumann gehen, ich habe etwas mit ihm zu besprechen". Im Kriegsjahr 1942 war Deutschland abends total verdunkelt, Straßenlaternen waren ausgeschaltet, und der Weg zu Herrn Neumann schien mir endlos. Ein alter Herr empfing uns an der Treppe zum ersten Stock, nachdem wir an der Haustür geläutet hatten. Opas langes Gespräch mit Herrn Neumann verbrachte ich spielend unter dem großen runden Tisch. Ich verstand nicht, worum es ging und war froh, als wir wieder zu Hause angekommen waren. Ich hatte Opas Freund vorher nie gesehen und sah ihn auch danach nicht mehr. Am folgenden Abend - ich saß mit Oma und Tante Maria am Tisch, auf Opa und das  Essen wartend. Opa stürzte, weiß im Gesicht, ins Esszimmer und sagte: "Herr Neumann hat sich erschossen".

Einem fünfjährigen Kind wurde nichts Näheres erklärt. Ich wusste, es war etwas Schlimmes, stellte jedoch keine Fragen. Dieser Vorfall blieb in meiner Erinnerung. Es wurde nie mehr darüber gesprochen, auch Jahre nachdem meine Großeltern und Eltern schon verstorben waren. Als ich Tante Maria, die schon über 90 Jahre alt war, in ihrem Heim in Pforzheim/Süddeutschland besuchte und sie ganz beiläufig fragte: "Erinnerst du dich an einen Herrn Neumann?" sagte sie erstaunt über diese Frage, "Aber natürlich, Herr Neumann war Jude, und als er damals keinen Ausweg mehr wusste, hat er sich das Leben genommen".

Kommerzielle Beleuchtung beim Stephansplatz
Diese Finsternis in meinem kindlichen Herzen habe ich bis heute nicht ganz überwunden. Sie erfasst mich, wenn Erinnerungen an die Verfolgung und Tötung Unschuldiger in mir wachgerufen werden.

Finster war es auch bei meiner ersten Teilnahme an einem Chanukka-Fest, am 30. November am Wiener Stephansplatz, wo ein großer neunarmiger Leuchter aufgestellt war und viele jüdische und auch nichtjüdische Bürger aus vielen Ländern auf das Entzünden der Kerzen warteten. Nachdem die ersten 4 Kerzen leuchteten begann das jüdische Lichterfest, man tanzte und sang, trank Punsch und unterhielt sich, wie es in einer großen Familie so üblich ist. Wind und Kälte machten wenig Eindruck. Ich selbst hatte noch nie in meinem Leben davon gehört, dass zum jüdischen Leben dieses eindringliche, ja, fröhliche Lichterfest gehört.


Nach dieser ersten Begegnung mit einem Chanukka-Fest kam eine zweite, ein paar Tage später, in Oberwaltersdorf bei Baden/Wien, im Hause der Familie Trink. Meine Freundin Hermine aus Baden war dorthin eingeladen worden. Sie durfte mich mitbringen. Etwa 40 Menschen hatten sich versammelt, um gemeinsam das Fest zu begehen, das im herrlichen Rahmen eines Bürgerhauses, dem "Friedensdom" stattfand. In ungezwungener Athmosphäre wurden gleich zwei Leuchter angezündet. Den Anfang machte ein Rabbiner aus Chicago, der auch in Jerusalem gelebt hatte, bevor er nach Wien kam. Auf Englisch, und mit weisen Worten erklärte er die Bedeutung des Lichtes. Wo Licht ist, muss die Finsternis weichen. Hermine machte die Übersetzung ins Deutsche. Und am Klavier saß ein alter Freund der Familie, der alle Schlager der Dreißigerjahre und mehr parat hatte, darunter auch den jiddischen Dauerbrenner "Bei mir bist du schen". Es wurde gelacht und gesungen. Die verschiedenen Bedeutungen von Chanukka wurden plaudernd erläutert.  Wie etwa Menschlichkeit Licht in das Dunkel bringt. Wie auch düstere Erinnerungen bei gläubigen Menschen mit Licht, das Herz erwärmen können. Gibt es etwas Schöneres?


Nach Essen und Trinken durften wir auch noch die Friedensmission des Hausherren näher bewundern: Franz Trink hat ein Ziel im Leben: nicht nur Geschäfte zu machen, sondern auch für den Frieden in der Welt zu werben. Auf originelle Weise: Mit einem 5 Meter breiten Kolossalgemälde, das er an einem prominenten Ort, vielleicht in Jerusalem, zeigen möchte, will er die Welt aufrütteln und für den Friedensgedanken werben. Eine noble Idee, die sicherlich bei allen kampfbereiten und militärisch ausgerichteten Drahtziehern Heiterkeit auslösen mag. Der Ernst des Gedankens jedoch liegt in seiner universellen Gültigkeit. Wer den Frieden will, lehnt Gewalt jeder Art ab. Wenn die ungeheuren Mittel für Rüstung nach und nach der Bekämpfung der Armut und des Hungers zur Verfügung gestellt würden, wäre ein friedliches Zusammenleben wahrscheinlicher.


Franz Trinks Friedensbild porträtiert viele, die es mit mehr oder weniger Erfolg versucht haben. Viele hat er mit seiner Idee persönlich ansprechen können. Andere sind als Symbole des Friedens festgehalten.  Wichtig ist nur, wer auf der Seite des Friedens steht. So entdeckt man auf dem Gemälde Mutter Theresa, den Papst, Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Gorbatschow, den Dalai Lama, Königin Elizabeth, und viele andere, deren "Friedenspotenzial" vielleicht noch nicht ausgeschöpft ist, oder, die irgendwann in ihrem Leben einen friedlichen Weg gegangen sind oder aufgezeigt haben. Eine verrückte Idee, die der Friedensmaler da in die Welt setzt? Keineswegs! Ein kleiner Spießer setzt normalerweise nicht viel in die Welt.

Das Chanukka-Fest gibt es schon seit Jahrhunderten. Es ist das Licht, das die Herzen erwärmt und die Finsternis verdrängt. Immer wieder muss es neu entzündet werden.

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