Donnerstag, 6. Juni 2013

Wiener G'schichten - schwarz wie die Nacht

Am 12. März 1938 begann der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. Am 15. März spricht Adolf Hitler auf dem Heldenplatz in Wien. Im April gibt es eine Volksabstimmung über den bereits vollzogenen Anschluss, der von über 99 % der Befragten gutgeheißen wird. Die Verfolgung und Demütigung von Österreichern jüdischer Herkunft beginnt sofort. Antiklerikale Hetzreden werden ebenfalls vernommen. Die 26.000 jüdischen Betriebe in ganz Österreich müssen zur "Arisierung" angemeldet werden. Dann kommt die "Reichskristallnacht" im November, mit schweren Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung, jüdische Geschäfte, Synagogen. Die Polizei schreitet nicht ein. 1940 werden die Lebensmittelkarten für Juden mit einem J gekennzeichnet. Von April bis September dürfen Juden zwischen 21 Uhr und 5 Uhr nicht mehr das Haus verlassen. Im September 1941 müssen Juden ab dem 6. Lebensjahr den gelben Stern tragen. Das Ziel: auch Österreich "judenrein" zu kriegen. Dann kam es noch schlimmer. Vieles ist in Erinnerung geblieben. Viele konnten sich retten, indem sie das Land verließen. Viele blieben ihr Leben lang ohne Heimat.

Georg Kreisler war ein gebürtiger Wiener, der es gerade noch geschafft hat, mit seiner Familie vor der Kristallnacht zu fliehen. Arnold Schönberg, auch ein jüdischer Komponist aus Wien, wollte den begabten siebzehnjährigen Kreisler in Los Angeles in seine Musikschule aufnehmen. Das geschah nicht, und das Talent Georg Kreisler wucherte in alle Richtungen und kehrte in den Fünfzigerjahren wieder an seine Ausgangspunkte zurück: Wien, Berlin, Salzburg, Basel, Salzburg (wo er vor 2 Jahren starb). Wen wundert es, dass der geniale Schöpfer von vielen Liedern, aber auch Opern, Operetten, Poesie, Literatur, keine Heimat mehr hatte, wo immer er sich auch niederließ. "Zuhause bin ich in der deutschen Sprache", sagte er einmal. Ein für ewig Verletzter, dem man alles genommen hat und der alles gab. Vor allem seinen Humor. Und der war düster, rabenschwarz, zynisch, makaber, verbal und witzig.

Auch das ist Wien: es gibt hier noch jüdisches Leben. Eine Judengasse, ein Museum Judenplatz und ein Jüdisches Museum in der Dorotheergasse. Da war ich gestern Abend. Horst Maria Merz, ein
Der Judenplatz
Berliner Pianist und Sänger, Mitglied der (neuen) Berliner Comedian Harmonists, hatte zu einem Georg Kreisler Abend gebeten. Und ich habe ein weiteres talentiertes Pulverfass kennen gelernt. Er wirbelte nur so mit Wörtern herum, sang sich den Mund fusselig und interpretierte Kreisler: ein bitter-süßes Vergnügen. Man versteht, dass "Tauben vergiften im Park" ein Schnitt mit dem Messer ins Zwerchfell ist. Auch seine Ballade, wie er alle seine Frauen ermordet hat, makaber-witzig, kam voll herüber. Dass es das noch gibt! Kann es sein, dass Kreislers Schicksal nicht so abgrundtief schwarz verlaufen wäre, wenn Hitler auf dem Heldenplatz gesagt hätte: "Ich begrüße meine jüdischen Mitbürger besonders herzlich"? Surrealistisch, das alles! Und schön, dass es noch solche Talente wie diesen Merz gibt. Kreisler würde sich im Grab herumdrehen, wenn er das nicht ohnehin täte.









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