Sonntag, 18. November 2012

Poetry Slam - Poetenkacke?

Ihr kleiner Bruder

Ich glaube, sie war erst fünf Jahre alt, meine Enkelin. Ich hatte Geburtstag. Sie beschloss, mir zu gratulieren. Ein gelbes Stück Karton, grüner Malstift, und schon ging es los. Halt, zuerst klebte sie sorgfältig auf die Vorderseite noch ausgeschnittene Lettern, ein wahre Sysiphusarbeit für ein Kind: SUPER VIEL...(es folgte handgemalt:) ...Glück zum Geburtstag. Auf der Innenseite wurde es poetisch: Die Bienen sumen um die Welt herum! Die Sonne scheint in deinem Herzen, nur für dich! Opa! Jetzt endlich ist er da! Dein Geburtstag schwebt heran   die Kerzen brennen heran Dein Gebur-tstag schwebt heran jetzt dann. Los komm lieber mit uns (sagt ein aufgeklebtes Schweinchen). Dann: ein gemalter Hund, der ein Körbchen trägt. Meine Gefühle, wenn ich diese Zeilen lese, sind   immer noch groß. Ich kann nur hoffen, dass meine Enkelin, die jetzt schon einer hübschen jungen Frau gefährlich ähnelt, stolz auf diese Geburtstagkarte ist. Ich bin es auch. Wer solche Enkel hat, sollte sich über nichts mehr Sorgen machen.


Der Beginn von Poesie ist schwer zu lokalisieren. Große Gefühle stehen am Anfang. Man sucht Worte, um sie zu verdeutlichen. Nicht in Form einer Gebrauchsanweisung für Heckenscheren, sondern im Einklang mit der eigenen Sichtweise. Worte rufen etwas hervor, oder auch nicht. Man wählt die richtigen, oder auch nicht. Dichter kämpfen ihr Leben lang, weil die einfachsten Dinge an der Unerbittlichkeit des Reimes scheitern können. Dazu kommt eine typisch deutsche Krankheit: der Unreim. Herz - Schmerz geht ja noch, obwohl die Aussagekraft dieses perfekten Reimes bezweifelt werden darf. Wir lecken die Wunden  von unseren Kurden. Das Wasser treibt die Mühle und plätschert in aller Stille. Hier wird es kritisch. Mein Schatz, sei nicht so zynisch, du weißt es doch, ich lieb dich. Hirnerweichung und deutsche Schlagermentalität reichen sich hier die Hand.

Wir brauchen sie also, die Dichter. Sie sagen uns, was richtig ist. Bei manchen ist der Schuss Humor jedoch etwas krass: Herbst ist es nun geworden, der Wind bläst jetzt von Süd nach Norden. Poetry Slam ist ein neues Wort. Auch für neue Dichtung? Nun, man kann damit intelligent herumblödeln, aber neu ist das nicht. Ich habe den Umgang mit Reimen immer geliebt und bin darin so gut wie ein fingeramputierter Zitherspieler. Lasst uns nicht vergessen, dass es den Dichter immer noch gibt. Er verdient seinen Platz, und zum Aushang seiner Gedichte in einer Bankfiliale ist es bisher noch nicht gekommen.




                                                                  

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