Freitag, 8. Juni 2012

Es war die Bauchspeicheldrüse

Rabenschwarz befallen mich die Gedanken in der Nacht. Dann muss ich an sie denken. Es ist lange her, dass meine Eltern starben. Meine Mama war die erste. Wenn ich sie zuhause besuchte saß mein Vater an ihrem Bett. Ihre Augen bekamen den Glanz einer liebenden Mutter. Er galt auch meiner Schwester, die nicht so schnell an ihr Bett eilen konnte, denn sie lebt in den Vereinigten Staaten. Nur ganz selten kam sie über den Großen Teich. Ich hatte eine Arbeit im Ausland. Als ich nach Paris ging, sagte meine Mutter: Jetzt werden wir auch dich kaum mehr zu sehen bekommen. Dann, lange vor ihrer Krankheit, zog ich nach Straßburg und war froh, nur noch eine Stunde Autobahn bis zu meinen Eltern zu haben. Ich besuchte sie gerne, war ein guter Sohn, rief fast täglich bei bei ihnen an.

Dann kam sie ins Krankenhaus. Es sah nicht gut aus. Sie hatte noch meinen Vater und dessen Schwester, um bei ihr zu sein. Meine Besuche waren sporadisch, denn ich hatte viel Arbeit. Als ich gerade dabei war, eine jener Sitzungen zu beenden, die immer halb Europa nach Straßburg brachten, öffnete sich die Tür zum Sitzungssaal. Meine vertraute Kollegin Maura wartete auf mich. Ich spürte es sofort. Sie will mir etwas sagen. "Deine Frau rief gerade an, Deine Mutter ist gestorben". Wie ein Hammer traf es mich. Ich konnte mich nicht mehr von Mama verabschieden.

Hier ist es, das Schicksal des modernen Menschen, der nicht an der Scholle klebt, sondern hinaus geht: es geschehen Dinge, die du nicht kontrollieren kannst. Ich war nicht da, als Mama uns verließ. Meine Schwester kam zur Beerdigung. Dann, kurz danach, wurde Papa krank. Der Chefarzt, ein guter Bekannter, sagte zu mir: Wir behalten ihn etwa zwei Wochen im Krankenhaus, zur Beobachtung. Es war Sonntag, als ich ihn in die Klinik brachte. Die Schwester sagte, er wird die Nacht gut schlafen. Ich musste wieder nach Straßburg, denn am Montag hatte ich wieder eine Sitzung. Diesmal kam Maura, die Schicksalsgöttin, bis zu meinem Platz am oberen Ende des Tisches. Ich wusste sofort, was geschehen war. Mein Vater war in der ersten Nacht im Krankenhaus verstorben.

                                                               Schwesterlein


Manchmal werde ich die düsteren Gedanken nicht mehr los. Ich habe meine Eltern verraten. Weder bei Mama, noch bei Papa war ich zur Stelle, als sie mich brauchten. Ein schlechter Sohn. Jetzt sehe ich auch meine Schwester nur selten und denke: vielleicht war es mein letzter Besuch. So geht es im Leben: man hofft und vergisst, und dann bricht alles über dich herein. Meine geliebten Eltern, ich lebe fortan mit euch in meinen Gefühlen, und weiß, dass ich nicht alles richtig gemacht habe. Wie wird es mir ergehen? Werden die Meinen auch nicht da sein, wenn ich sie brauche?

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