Donnerstag, 24. November 2011

Ahmet und Kristina, Teil 1




Die nachfolgende Geschichte ist nicht frei erfunden, doch mußte ich die Namen ändern, weil die Beteiligten es so wünschten. Enge Freunde von Ahmet und Kristina werden einzelne Episoden ohnehin leicht wiedererkennen. Ich kann nur hoffen, daß die von mir weitgehend aus dem Gedächtnis aufgezeichneten Begebenheiten faktisch und chronologisch richtig sind, denn weder Ahmet noch Kristina  sprechen  deutsch, um die Genauigkeit meiner Schilderungen selbst überprüfen zu können. Auch sind sie beide viel zu beschäftigt. Nie würden sie dafür die Zeit finden. 
                                                                      
Es ist eine jener privaten Business Schools im Londoner Westen, auf die wohlhabende Eltern aus aller Welt ihre hoffnungsvollen Sprößlinge gerne schicken, damit sie nach einigen Jahren das väterliche Unternehmen kompetent weiterführen können. Dabei verbessern sie ihre Englischkenntnisse, und manchmal bringen sie eine gut erzogene Engländerin mit nach Hause, was dem Ruf des Geschäftes,  weit draußen in der Welt, nicht schadet , sofern sie sich an örtliche Gegebenheiten anpassen kann. Frauen scheinen an dieser Schule weniger gefragt zu sein. Unter dreihundert Studenten sind gerade mal zehn Studentinnen zu finden. Ahmet Aslan ist erst seit knapp einem Jahr hier. Lange hatte es gedauert bis er einige Freunde fand, mit denen er sich gut unterhalten konnte und die nicht zu hochmütig oder zu albern waren. Vor kurzem hatte er seinen zwanzigsten Geburtstag bei seinem Onkel Turgut gefeiert, bei dem er wohnen kann, was die Kosten für sein Studium erheblich verbilligt. Turgut ist nur zehn Jahre älter als Ahmet,  mit einer Engländerin verheiratet, die von ihren Eltern einen Friseursalon für Damen übernahm, in dem auch Turgut arbeitet. Für Kinder war noch keine Zeit, weshalb Ahmet manchmal sich des Eindruckes nicht erwehren kann, für seinen Onkel so etwas wie ein Sohn zu sein, vielleicht aber auch wie ein jüngerer Bruder. Er fühlt sich sehr wohl in der bescheidenen, nicht zu kleinen Wohnung von Turgut und Jane, drei Bushaltestellen von seiner Schule entfernt. Allerdings sehnt er sich oft nach seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Leila, die ihn wie einen Helden verehrt, weil er sie oft beschützte und in der Schule einer der besten war. Er kann sich nicht mehr genau erinnern, wann er sie zuletzt gesehen hat. Nur einmal bekam er Besuch von seinem Vater, der für zwei Tage in London war, wohl um nach dem Rechten zu sehen und sich zu überzeugen, daß es seinem Sohn bei Onkel Turgut gut ging. Vorher war er geschäftlich in Glasgow gewesen und hatte täglich in London angerufen. Wichtig war für Ahmets Vater, daß sein Sohn sich nicht von den Verlockungen dieser Weltstadt benebeln ließe und sein Studium im Jahre 1984, wie geplant, zu bringen würde. Ahmet hatte es seinem Vater versprochen, als dieser davon sprach, Ende daß die Mädchen in London anders seien, viel freier und ungehemmter, und daß sie eine auffällige Vorliebe für gutaussehende Männer mit dunklen Augen und schwarzem Haar hätten. Ahmet wußte, daß er so etwas seinen Eltern nicht zumuten konnte, gestand sich aber ein, daß er nicht ungern nach diesen blonden Wesen schielte. Erfahrung hatte er aber noch nicht auf diesem Gebiet, dazu müßte er zunächst einmal seine Unbeholfenheit ablegen, die ihn ärgerte. Auch seine große Schüchternheit stand ihm im Wege und heute, mit zwanzig Jahren, muß er sich eingestehen, daß er immer noch errötet, wenn er von einem Mädchen angesprochen wird.
Ahmets Freunde Jim und Nikos scheinen keine Probleme mit dem anderen Geschlecht zu haben. Mit loser Zunge können sie die unterschiedlichsten Schönheiten beschreiben, die ihnen oft bei ihren abendlichen Streifzügen durch die Londoner Innenstadt begegnen. Für sie ist das ein wichtiges Thema. Deshalb vernachlässigen sie jedoch ihr Studium keineswegs. Jim kam aus Australien nach London und Nikos aus Athen. Es hat Ahmet nie gestört daß Nikos Grieche ist, der ewige Konflikt zwischen Türken und Griechen ist ihm allerdings mehr als vertraut, hatten doch seine Kinderjahre ganz unter diesem schrecklichen Zeichen gestanden. Doch Nikos war ein gütiger, humorvoller Zeitgenosse. Warum sollte Ahmet nicht einen Griechen zum Freund haben? Den Eltern mußte man dies ja nicht unbedingt anvertrauen. Onkel Turgut, der Nikos und auch Jim gut kannte, hatte  nichts gegen diese Freundschaft. Eines Abends ruft Nikos an: „Na, altes Haus, wieder bei Tante Jane am häuslichen Herd? Warum kommst Du nicht mit  zu Kostas? Er feiert morgen. Was, habe ich vergessen.“ „Warum, ich kenne ihn doch nicht?“ „ Ist das ein Grund? Es gibt allerhand hübsche Dinger dort, wie ich den Laden kenne. Außerdem hat Kostas drei Schwestern, die noch nicht unter der Haube sind“, sagt Nikos. „Und die sich natürlich für einen aus dem feindlichen Lager interessieren,“ erwidert Ahmet. „Vergiß den Quatsch und komme!“ Ahmet überlegte kurz und sagte zu. „Du mußt mir aber sagen, wo`s hingeht und ob ich etwas mitbringen soll.“ „Kein Problem, es ist alles da. Nur solltest Du nicht wie ein Klotz in der Ecke sitzen. Ich hole dich ab, gegen acht Uhr.“
Ahmet verabschiedet sich von seinem Onkel. Tante Jane ist noch nicht von Einkäufen zurück.  Turgut küßt ihn auf beide Wangen und wünscht ihm einen schönen Abend. „Komme nicht zu spät nach Hause,“ sagt er noch. Es klingt wie eine Pflichtübung. Kostas hatte dreimal sturmgeläutet und gleich beim Anblick Ahmets anerkennend gemurmelt: „ Damit wirst du Furore machen.“ Er meinte den neuen Anzug, ein dunkelblauer Zweireiher, den Ahmet zum erstenmal trug. Die Party hatte schon begonnen als sie ankamen. Lärm und Musik scholl ihnen entgegen, als eine von Kostas` Schwestern öffnete. „Hübsch,“ dachte Ahmet und errötete leicht. Das Wohnzimmer war bis in den letzten Winkel besetzt. An ein Ausweichen auf die Terrasse war nicht zu denken, da die winterlichen Temperaturen dies nicht zuließen. Also setzte sich Ahmet neben ein Mädchen, das freundlich zur Seite rückte. „Ich bin Ahmet“ sagte er nur. Sie antwortete: „Kristina“ und drehte sich zu einer Nachbarin um, die ein Tablett mit Getränken auf einer Hand balancierte. Sie nahm zwei Gläser herunter und reichte eines davon Ahmet, der sich erfreut bedankte. Später konnte er sich nicht mehr erinnern, was er getrunken hatte. Kristina trug ein rotes Kleid und die dazu passenden Schuhe. Ahmet fiel auf, daß sie die anderen nicht kannte, außer der einen Schwester von Nikos, mit der sie zur Schule ging. Man spürte, daß sie schon länger in Großbritannien war. Ihr Englisch war fehlerfrei, ihr Akzent schwer auszumachen. „Ich bin Griechin,“ sagte sie, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. „Du ahnst sicher woher ich komme,“ meinte Ahmet, worauf sie flüsterte: “Aber das macht doch nichts.“ Gleich spürte sie, daß ihre Antwort etwas Verletzendes enthielt und fügte hinzu: „Es ist nicht unsere Schuld, was unsere Länder so treiben.“ Ahmet war glücklich über diese Bemerkung und lenkte das Gespräch auf andere Themen, bis er bemerkte, daß links von ihm Nikos saß, der mit Jim und Kostas Witze austauschte. Er wandte sich kurz ab und drehte sich wieder hin zu Kristina, die ihn verlegen musterte. Er wußte nichts zu sagen und hätte ihr doch gleich haufenweise Komplimente machen können, denn sie hatte blaugraue Augen und einen schönen intelligenten Mund. Es fiel ihm ebenfalls auf, daß sie nicht wie eine klassische Griechin aussah, eher wie eine Synthese aus Nord und Süd, vielleicht auch noch mit einem slawischen Einschlag. Seine Verwirrung war ihm anzusehen. Dennoch wagte er, sie zu einem Tanz aufzufordern, der gerade in einem anderen Raum begann und zu dem schon mehrere Paare aufgebrochen waren. Da kam es ihm in den Sinn, daß sie erst fünfzehn, sechzehn Jahre alt sein mußte. Vielleicht hatte sie das Tanzen noch nicht gelernt. Etwas hektisch zog sie ihn jedoch hinter sich her, und als er sie leicht umfaßte, fühlte er, daß sie etwas zitterte. Ein aufregendes Gefühl durchströmte ihn, als der Tanz einigermaßen ruhig verlief und sie anschließend zu ihren Plätzen zurückgingen. 
Der Abend war sehr unterhaltsam. Ahmet schaffte es auch, irgendwie Interesse an Kostas` Schwestern zu zeigen, mit denen er nun auch tanzte. Sie kamen ihm etwas unreif vor, und sie waren nicht besonders erpicht darauf, neue Bekanntschaften zu machen. Kristina wurde ganz plötzlich von ihrer Mutter abgeholt. Ein kurzer Blick in die Runde, die sich nach Mitternacht schon etwas gelichtet hatte, und sie war verschwunden. Ahmet bedauerte, daß die Zeit so schnell vergangen war und daß er so wenig sagen konnte und nicht einmal erfuhr, daß sie bei       ihren Eltern in einem Londoner Vorort lebte. Jetzt fühlte er eine gewisse Leere und wollte ebenfalls aufbrechen. Nach einigem Hin und Her verabschiedete sich Ahmet, nicht ohne sich für die Gastfreundschaft zu bedanken, und kehrte mit der U-Bahn nach Hause zurück. Onkel Turgut schlief noch nicht, aber Ahmet wollte nicht viel erzählen. So gingen beide schlafen.




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