Donnerstag, 15. März 2018

Hurra, es ist soweit.

Ich kann es noch nicht glauben, er ist "überglücklich" weil er als Bürgermeister eines netten Doppelstädtchen (mit dem Schmucktitel "Bad") wieder gewählt wurde. Dazu muss ich noch was sagen, aber später. In der deutschen Provinz war es üblich, sich moralisch und auch anders, das Maul zu zerreißen, wenn es frivole Neuigkeiten gab. Wenn der falsche Mann die falsche Frau im falschen Augenblick geküsst hat. Oder der Dorfpriester betrunken im Nachbardorf gesehen wurde.

Die Liste der Entgleisungen könnte ins Unendliche fortgesetzt werden. In meiner Jugend wurde ein mir bekannter Erwachsener als "vom andern Ufer" bezeichnet. Lange habe ich mein erwachendes Köpfchen bemüht, um herauszufinden was das bedeutete. Ich ahnte, dass es etwas Unkeusches sein musste, denn, wenn Menschen über das andere Ufer sprachen, senkten sie die Stimme. Ich habe es nie herausgefunden, wenigstens solange ich noch nicht 30 war. Allerdings verkehrte ich auch nicht in den Kreisen, die ausschließlich gleichgeschlechtlich miteinander umgingen.


Da ich schon berufsmäßig gezwungen war, täglich Zeitungen verschiedener Länder zu lesen, The Guardian, die Süddeutsche, le Monde, Il Corriere della Sera, El País und den SPIEGEL (als "mein" Wochenmagazin), war ich immer über alle Atrozitäten dieser Welt bestens informiert. Dabei ist mir immer aufgefallen, dass mein eigenes Land etwas provinziell hinterher hinkte, wenn es darum ging, einen Trend zu akzeptieren. Vielleicht hat dieser Krieg mit den verrückt gewordenen Nazis im Nachhinein für allgemeines Zögern auf diesem Gebiet gesorgt. Sogar die Zeugen Jehovas galten lange als etwas "Unnormales", dem Alltag Enthobenes.

Also hat man neben den Geburten und Todesfällen auch gierig nach Sensationen anderer Art geschaut. Eineiige Zwillinge. Oder gar siamesische Zwillinge. Oder die Kuh mit zwei Eutern. Solches kam selten vor, weil die Nachrichtenepidemie den Weltkreis noch nicht komplett im Griff hatte. Andererseits gerieten solche Meldungen oft ins Stocken, weil der Chefredakteur sagte: wir sind ein seriöses Blatt, oder: wir haben heute schon genug Mist auf unseren Seiten.

Was lese ich da? In einem als Werbeblatt selbst finanziertes Magazin, kostenlos an alle Haushalte verteilt, auf der Titelseite: Überglücklich über seine erste Wiederwahl als Bürgermeister. Amtsinhaber
mit 92% wiedergewählt. Abgebildet: das Foto des Paares mit Blumen. Unterschrift: Der strahlende Sieger mit Ehemann. Kein Maulzerreißen, keine Häme. Es gehört  also heute schon zum guten Ton, als Mann mit Mann verheiratet (oder auch nicht) zu sein. Obwohl ich als Verfasser dieses Blogs ein leidenschaftlicher Hetero bin, gefällt es mir, wenn möglichst viele Menschen auf jede Art und Weise aus der Reihe tanzen.








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