Sonntag, 19. November 2017

Alter Sack mit neuem Inhalt?

Es wäre respektlos, einen Greis als alten Sack zu bezeichnen. Als mein viel bewunderter Freund Ernesto mir zum erstenmal gegengüber stand, sagte er in seinem schönen perfekten Deutsch: ich bin 32. Mit meinen damals 29 Jahren ging mir ein kleiner Stich durchs Herz. Ernesto war schon 32. Ich hatte mir immer großzügigerweise vorgestellt, mein heroisches Leben würde mit 40 enden. Ein schönes Alter für einen, der noch nichts geleistet hat und dennoch die Bewunderung aller auf sich ziehen möchte.

Ernesto, Du fehlst uns. 
Ernesto, mit dem mich eine lebenslange Freundschaft verband, ein Frauenbewunderer, der spät in seinem intellektuellen Leben die ideale Partnerin fand, musste früh sterben. Wir hatten über alles gescherzt und schütteten uns aus vor Lachen, wenn der Anlass besonders albern erschien. Plötzlich war auch ich über 40. Das war die Zeit, da man anfing, zu leben. Also lebte man. Die berühmteren unter uns wurden beim Nennen ihrer Namen in Zeitungen immer mit dem Alter versehen: Dr. XYZ, in Klammern (69) oder (75), wenn verstorben, das gleiche, eine Art Zwang, mitzuteilen, in welche Altersstufe man passte.

Als ich mein eigenes biblisches Alter erreicht hatte, ich präzisiere es nicht, aus Achtung vor der Methusalemität der anderen, merkte ich selbst, dass ich das Radfahren, den Skilauf und vieles andere bereits aufgegeben hatte. Man hatte gelernt, sich zu verabschieden, wenn man etwas nicht mehr ausführen konnte. Die Frage bleibt, wozu bin ich noch fähig? Lohnt es sich überhaupt noch? Sich mit dem Hasbeeneffekt abzufinden, genügt jedoch den meisten nicht. Mein spanischer Freund hatte begonnen, Gedichte aus dem Russischen ins Spanische zu übersetzen. Das hatte Ernesto bis zu seinem Tod beschäftigt. Eine neue Aufgabe zu finden, war sein Wunsch. Ich erinnere mich, wie zufrieden er war.

Einleitung ? Hauptteil? 
Uns nicht vom Gang der Dinge abhängen zu lassen, scheint ein Gebot des Alterns zu sein. Wer sich aufgibt, ohne Neues zu versuchen, wartet nur noch auf den Tod. Das Alter ist nur eine Ansammlung von Jahren. Es sind jedoch nicht die Jahre, die zählen, sondern die Schritte, die man nach vorne macht. Beim Aufsätzeschreiben in der Schule gab es immer und unerbittlich Einleitung, Hauptteil, Schluss.

Man kann immer neu beginnen, den Aufsatz des Lebens zu schreiben: Einleitung, Hauptteil, Schluss. Wir wissen wie es geht. Wer es nicht tut, hat schon aufgehört. Die Ansammlung von Jahren mag der Hauptteil sein. Doch die Jahre zu beenden, ist nicht unsere Sache, und über den Jordan gehen ist auch eine Tätigkeit. Habe ich einmal gemacht, ohne an etwas zu denken. Der Jordan hatte nichts dagegen.

Was für ein Anfang... 
Wie erfrischend, wenn man sagen kann, dass man lebt (und hoffentlich gut). Für den Schluss ist nur der Regisseur zuständig. Kommen wir ihm nicht in die Quere. Und spielen wir unseren Part mit Würde, ja mit schauspielerischer Begeisterung. Das Publikum liebt es. Ich sterbe jetzt, heißt es in der Oper. Der Kerl brauchte Stunden, um seine Arie zu beenden. Ich fand das sterbens langweilig. Schluss.












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