Samstag, 22. April 2017

Haartracht oder Niedertracht?



Zum dritten Mal, seit wir hier in Haworth/Yorkshire wohnen, gehe ich zum Frisör. Davor war ich bei einem recht schweigsamen Haarkünstler im Ersten Wiener Bezirk, gleich um die Ecke, denn wir wohnten in Österreich. Er hatte nicht ganz verstanden, warum ich das mit den 5 Haarwirbeln erwähnte. Entsprechend wurde ich etwas missverständlich bearbeitet. Cath meinte gar, es hätte auf meinem Kopf ein Massaker stattgefunden. Solche Hinrichtungen fürchtete ich wie die Pest, denn ich sah jedesmal recht fragwürdig aus, wenn ich vom Frisör kam. Von Schuld möchte ich nicht reden.


Die INDUSTRY Barbers in Haworth sind ein freundliches Völkchen. Ein großer, kräftiger junger Mann, nennen wir ihn Bill, vielleicht der Besitzer und/oder  Chef, ein leicht jüngerer, wir nenen ihn Martin, und eine junge Dame namens Lizzy. Martin behandelte mich letztes Jahr einmal. Ich war beeindruckt von der Umsicht, mit der er an die Sache ran ging. Er stellte viele Fragen und er sagte mir, dass er auf dem Sprung zu einem Urlaub im Ausland war. Ich erzählte ihm von meinen 5 Wirbeln (my five crowns) und er ließ alle Sorgfalt walten, damit ich zufrieden nach Hause gehen konnte. Er schnitt gut und mit langmütiger Vorsicht.

Der TrumpTower in New York sieht anders aus. 
Als ich das 2. Mal die INDUSTRY betrat, fand ich mich mit der jungen Dame allein. Also setzte ich mich in meinen Stuhl, während sie mich als älteren Herrn einzuschätzen versuchte. Wir redeten nicht viel. Eine scheue Ehrfurcht hielt sie davon ab, mehr zu sagen als notwendig. Lizzy macht ihre Sache ebenfalls gut, und ich beschloss, wieder zu kommen.

Ich und Bill beim Haareschneiden. 
Als ich heute den Laden betrat, unangemeldet, waren Martin und Lizzy in gleicher Weise am Schnibbeln. Er hatte einen mittelalterlichen, fast kahlköpfigen Kunden, bei dem schon alles zurückgetrimmt war, während Lizzy sich an einem Knaben von vielleicht 13 abarbeitete. Martin redete auf den Herrn ein und verfiel immer wieder in hektisches Schnibbeln und Bürsten. Auch eine Efilierschere trieb hin und wieder ihr Unwesen. Der Kundenstuhl konnte mit von hinten mit dem Fuß stoßweise hochgepumpt werden. Dann ließ Martin ihn wieder herunter, warum habe ich nicht verstanden. Während dessen bürstete Lizzy auf dem Knabenkopf herum, und gelegentlich blitzte auch die Schere wieder auf. Für mich sahen sowohl der Herr als auch der Knabe so gut wie zu Ende geschnitten aus, als dann nocheinmal gepumpt wurde, noch einmal geschnibbelt, einmal auf der Martinseite, und einmal auf der Lizzyseite. Das Ganze schien kein Ende zu nehmen, und während der Knabe eher lustlos auf das Ende der Behandlung zu hoffen schien, verstrickten sich Martin und sein Kunde in immer tiefere Gespräche.


Es wäre unfair, zu behaupten, dass die Dauer des Haarschnitts von der Gesprächswilligkeit von Kunde und Frisör abhängt. Doch beide, der kahle Herr und der Knabe waren ordentlich geschnitten, je sogar mit großer Hingabe, und ich als wartender Kunde hoffte, bald dran zu kommen. Was geschah da? Wie aus einer anderen Welt kommend, erschien Bill aus einem hinteren Raum, in den er mich abtransportierte und an den Sessel verwies. Ich hatte nicht gewusst dass, unser Deus ex machina über seine eigene Schnittkammer verfügte. Hier erwähnte ich meine 5 Wirbel. Bill schaute bekümmert und machte sich an die Arbeit. Auch mein Bart wurde getrimmt, überschüssiges Haar an Ohren und Augenbrauen entfernt. Meine 5 Wirbel wurden geschickt ausgetrickst und mein Gesamtaussehen erheblich verbessert.

Alle drei Schnittmeister machten einen seriösen Eindruck. Ihre Oberarme waren ziehmlich krass tätowiert, die Gesamterscheinung des Barbersalons war ein wenig nachlässig aber praktisch. Das parfümstrotzende Schickimickiäußere von aufgebrezelten Haarstudios fehlte gänzlich. Ich habe für die drei aufrichtigen Haarspezialisten nur Lob und Bewunderung.















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