Man kann über den Frühling sagen was man will: er kommt immer, aber wann, steht in den Sternen, auch hier in West Yorkshire. Zuerst kamen die Fensterputzer. Für mich immer zu früh. Ich verschwand im Bad, während Cath die Männer mit den zwei Leitern begrüßte und wohl beim monatlichen Putzen der Fensteraußenseiten beobachtete. Unerwartet strahlte die Sonne aus einem blauen Himmel. Ein frühlingshafter Morgen, der uns zum nachfrühstücklichen Spaziergang anregte.
Kaum hatten wir die Füße vor das Haus gesetzt und uns in Richtung Oxenhope aufgemacht, da blies uns ein unverschämter Wind entgegen. Da ich einiges gewöhnt bin, ertrug ich das Gebläse, obwohl mir schon kalt war. Cath war schon weit vorausgegangen, als mir ein junges Mädchen mit einem harmlosen Köter begegnete. Mein freundlicher Gruß wurde von Gassi sofort missverstanden. Eine seiner dreckigen Pfoten glitt an meinem Hosenbein hoch und beschmutzte dies. Wer sich über so etwas ärgern kann, sollte nicht in diesem Land wohnen.
Was mich jedoch immer wieder vor Wut schäumen lässt, ist die hinterhältige Art, mit sich der sogenannte Frühling meldet. Einerseits stehen die Narzissen in voller Blüte, suggerieren mildes Klima, und andererseits ziert sich der Herbeigesehnte wie ein frigider Ginsterstrauch, um ja bloß nicht die Illusion von Frühling aufkommen zu lassen. Jedes Jahr um diese Jahreszeit ist es das gleiche: Er kommt zwar, aber man darf sich nicht darauf freuen können. Oder gar warten.
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Das war vor einem Jahr und nicht in Yorkshire. |
Frank Wedekind, der Schriftsteller, Journalist und Kabarettist aus Hannover, Mitbegründer der satirischen Zeitschrift Simplizissimus, muss auch daran gedacht haben: Frühling reizt den Menschen zur Satire. Sein immer noch hochaktuelles Stück
Frühlings Erwachen (dass wir nicht lachen!) meint allerdings den Frühling des Lebens. Sein 1906 uraufgeführtes Stück drückt jedoch eine ähnliche Wut aus: das Unverständnis gegegenüber der bürgerlichen Moral, dem Drängen pubertärer Jugend ins Leben, mit dem Erwachen ihrer Sexualität, dem Verlangen nach Freiheit und Selbstständigkeit. Es endet, wie wir wissen, tödlich.
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Frühlings Erwachen |
Ist unser Frühling also ein Symbol für das Erwachen des Lebens? Oder eher für das Sterben liebgewordener Gewohnheiten? Wie wir sie oft im Verhalten ängstlichen Kleinbürgertums vermuten? Wie dem auch sei: daran ändern können wir nichts. Der Frühling kommt oder auch nicht. Doch meist viel zu spät und durch die Hintertür. Irgendwann durchbricht er das Tabu des Winters, wie auch Wedekind so manches Tabu durchbrochen hat.
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