Mittwoch, 15. Juni 2016

Der Engländer an sich. Das sieht zur Zeit böse aus.

Ich dachte immer, der Engländer sei leicht zu erfassen. Der Mann ein Gentleman, die Frau eine Lady. Dem ist nicht so. Ich lebe hier in Yorkshire, wo man stolz darauf ist, ein Yorkshirerer zu sein, deren Sprache keiner versteht. Aus Jux und Dollerei sagen sie zum Abendessen "tea", um Nachtisch Pudding, auch wenn es eine Vanillesoße ist, und zum Mittagessen Dinner. What do we have for tea? bedeutet dann, was essen wir zu Abend? Zur Zeit ist es besser, sich einem Engländer nicht als Zugereister oder gar EU-Bürger zu outen. Es könnte sein, dass eine wie eine richtige Dame aussehende Person, entgegen ihrer Kinderschuhe unmutig bäffzt: go away! We don't want to have you here! Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muss gesagt werden, dass es mir hier noch nicht passiert ist. Im Gegenteil. Viele sind trotz allem freundlich geblieben.


Es herrscht im Lande die sogenannte Brexit-Angst, wobei das Wort Angst ein Lehnwort aus dem Deutschen ist. Das hat viele Gründe. Die britische Gleichmut ist donnerschlächtig ins Wanken geraten. Während der sprichwörtliche Brite früher durch nichts zu erschüttern war,  fällt ihm jetzt vieles auf den Geist, was vermutlich durch den europäischen Kontinent verursacht wurde. Die Splendid Isolation scheint nicht mehr zu der künstlichen Nähe zu passen, die Brüssel stellvertretend für die EU-Länder verantworten zu haben scheint.

Ich erinnere mich, wie wenig der Brite-an-sich sich für Europa zu interessieren schien. Jetzt bekommt er täglich gesagt, wieviele Milliarden er als Mitglied der EU in diese hineinpumpt, ohne etwas zurück zu erhalten. Dabei strömen Millionen von EU-Ausländern als illegale Arbeitskräfte in das Land und raffen den eigenen Leuten die Arbeitsplätze weg. Und das beste Gesundheitssystem der Welt wird gerade von innen ausgehöhlt, da jede ärztliche Behandlung kostenlos ist. Schlimmer noch: wir sind nicht mehr Herr im eigenen Land, weil wir unsere Grenzen nicht mehr kontrollieren dürfen. Und Brüssel macht uns immer mehr Vorschriften, die wir nicht beeinflussen können. Angela Merkel könnte in einem Anfall von Größenwahn die Macht in Europa übernehmen. All das wollen wir nicht.


Diesen und ähnlichen Unsinn bekommt man hier zu hören. Kein Wunder, dass der Brite-an-sich anfängt, sich zu fürchten. Andere haben von der ständigen Gehirnwäsche durch die Austrittsbefürworter die Nase voll. Man weiß nicht genug über die europäischen Zusammenhänge, die ja alles andere als ideal sind, und lässt sich von einigen Lügenbaronen jeden Bären aufbinden. Hauptsache, der Bürger entscheidet sich am 23. Juni über den Austritt oder den Verbleib. Inzwischen wird die permanente Debatte immer unbritischer, das Fair Play wird durch lügenhafte Äußerungen ersetzt. Der UKIP-Führer Nigel Farage und der ehemalige OB von London, Boris Johnson, sind die Rädelsführer, die ihr Land in diese Angst versetzen. Ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Angstmacherei (scaremongering) sorgt bei normalen Bürgern für Orientierungslosigkeit, wie man sie noch nie erlebt hat.


Die Ursachen sind vielfältig und zweideutig. Der langsame Verlust der Kolonien. Die Reduzierung des Vereinigten Königreiches auf etwas weniger Vereintes, mit Schottland als Absprungkandidat, Nordirland als unsicherer Teil der irischen Insel. Wales, das London nicht gerade zu lieben scheint. Und dann, neben wirtschaftlichen Problemen auch noch die befürchtete Bevormundung durch die Europäische Union. Das alles bedeutet Krise. Vielleicht die größte, in der sich dieses Land je befunden hat. Das Selbstbewusstsein der Briten wankt.

Die Königin und die königliche Familie mussten sich natürlich mit Meinungen zum Referendum zurückhalten. Obwohl viele Staatsoberhäupter und Regierungschefs in der Welt sich dringend für den Verbleib einsetzen, kann die prekäre Abstimmungslage weiter umkippen. Dann ist es um den britischen Menschenverstand geschehen. Dabei wollen einige nur ihr persönliches Süppchen kochen, wie so oft in der Politik. Dieser Boris Johnson will Premierminister werden. Zusammen mit einem gefürchteten USamerikanischen Präsidenten namens Trump wäre das die Weltkatastrophe unseres Jahrhunderts. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Wähler im letzten Augenblick noch aufraffen, den verrückt gewordenen Ausstiegshetzern zu zeigen wo der Hammer hängt.


Auch die Ausschreitungen der britischen Fussballhooligans während der begonnenen EM in Frankreich ist ein Indiz dafür, dass sich England gerade sehr unwohl fühlt. Vielleicht wird aber beim Auslöffeln dieser scharfen Suppe die Temperatur noch etwas abgekühlt, damit die Engländer endlich wieder ruhig schlafen können. Der historische 23. Juni 2016 wird es zeigen.

    

2 Kommentare:

  1. Trump, Johnson und le Pen - das ist neben Ungarns und Polens Regierungschefs der Weg, der im Moment Europa das fürchten lehrt!

    Mögen die Völker sich in letzter Sekunde besinnen und Verantwortung für nicht nur die eigene, sonder vor Allem die Zukunft der kommende Generation ernst nehmen - God save not only the queen but Europe!

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  2. Du hast recht, Peter, doch gibt es leider noch viel mehr führende Politiker, die nicht astrein sind. Was machen wir mit denen? Abwählen? Sie erzählen Lügen, damit man sie wählt. Andere flunkern geschickt. Das ist genauso schlimm. Sich schnell besinnen auf die Verantwortung die jeder hat, wäre der richtige Weg.

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