Dienstag, 10. Februar 2015

Indien - eine Yatra durch den Subkontinent

Es muss in den Achtzigerjahren gewesen sein, als ein Arbeitskollege von einer Reise nach Indien zurück kam: "Nie wieder", sagte er, "es war schrecklich. Die Armut, der Dreck, das Klima, das aufdringliche Betteln". Ich wusste, dass man das heute auch von anderen Ländern sagen könnte: Deutschland, Frankreich, Österreich, USA und Großbritannien. Doch das kann es nicht gewesen sein. Wien zum Beispiel, kann zu den schönsten Städten der Welt gezählt werden. Schrecklich?

Jaintempel in Mumbai
Das Klischee: heilige Kühe, das Taj Mahal, Schlangenbeschwörer, Ganges, und, mehr und mehr als Medienkitzel: grässliche Vergewaltigungen. Wer kennt schon Indien? Ich war 5 mal dort und weiß so gut wie nichts. Ein Hindu kann, wenn er will, eine Pilgerreise zu einer heiligen Stätte unternehmen. Das wird in Sanskrit yatra genannt. Ein yatri ist ein Mann oder eine Frau auf Pilgerreise. Einem solchen Pilger  bin ich 1985 in Belur mit meiner Tochter und einem Sohn begegnet. Wir bestaunten gerade einen Tempel. Der ältere Herr sprach Englisch. Wir schieden als Freunde, nachdem er uns zu einem Bus nach Mysore gebracht hatte, nicht ohne dem Fahrer das Reisegeld zuzustecken. Natürlich haben wir auch Armut gesehen, und Verkrüppelung. Aber wir waren fasziniert von Indien und seinen unglaublichen Schätzen, der Vielfalt, der Natur.

Eine yatra wurde ursprünglich unternommen ohne Schuhe oder Sandalen an den Füßen. Ohne Schirm. Ohne Fahrzeug. Man wollte dadurch ein gutes Karma bekommen. Inzwischen wissen viele Europäer, was ein Karma ist: die Folge einer Handlung, geistig oder physisch, im Diesseits oder Jenseits. Doch Karma bedeutet viel mehr, je nach Religion. Der Hinduismus sieht das etwas anders als der Buddhismus oder der Jainismus. An einem anderen heiligen Ort, in Tirupati, nicht allzu weit von Madras entfernt, das heute Chennai heißt, durften wir, nach langem Warten in der Schlange, das Heiligtum erst betreten, nachdem wir unterschrieben hatten, an den Gott Baiji zu glauben. Das Leben ein Abenteuer. Auch in Indien.


Als Junge las ich ein Buch, das hieß "Kreuz und quer durch Indien", wenn ich mich richtig erinnere. Wenn nicht, könnte es "Mit dem Rucksack nach Indien" geheißen haben. Ich weiß nicht, ob ein Zehnjähriger schon schlingen kann, aber dieses Buch wurde von mir verschlungen. Seitdem ist Indien für mich eine immer noch unbekannte Welt. Dabei habe ich Bombay, Madras, Hyderabat, Delhi, Agra, Jaipur, Bangalore und Ichweißnichtwas gesehen. Unerschöpfliche Reiseziele.

Im Jahr 1997 waren es 50 Jahre, dass Indien unabhängig und ein Staat mit einer neuen Identität wurde. Aber welcher? Mahatma Gandhi war der Auslöser und das Vorbild für den gewaltlosen Weg zur Unabhängigkeit gewesen. Auch die damals verabschiedeten britischen Kolonialisten haben große Achtung vor diesem ganz Großen. Aus Anlass der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag einer Nation organisierte und unternahm der Inder Shashank Mani mit 200 Studenten beiderlei Geschlechts eine Bahnreise durch Indien, eine Yatra, um mit ihnen die indische Gegenwart und die Zukunft zu diskutieren. Ein waghalsiges Unternehmen, das in den Medien viel Echo fand und 200 Freunde für immer zusammenschweißte.





Die Reise startete am Hauptbahnhof von Mumbai/Bombay, um Mitternacht des 24. Dezembers 1997. Die Vorbereitungen hatten 9 Monate gedauert. Die Reise ging zunächst hinauf in den Norden, über Jaipur nach Amritsar. Dann wieder südlich nach Agra und Neu Delhi. Von dort Richtung Südosten bis nach Kalkutta. Südwestlich, dann, über Hyderabad und Puna wieder ins westliche Mumbay. Was auf einer solchen Reise geschieht, die nur 22 Tage dauert und 200 junge Menschen nahe zusammenbringt, ist schwer zu beschreiben. Der Sonderzug, diente als mobiles Hotel und auch Debattierklub. Nicht nur entdeckten die Studenten einen großen Teil ihrer großen Heimat. Sie lernten viel über ihr Leben, das der anderen und, über das Land und seine Probleme. Als Mani den Zug verließ, wusste er, dass er diesen mit 200 Fremden betreten hatte, und nun nicht mehr in blasse Gesichter schaute, sondern in sehr vertraute, denen man Gefühle, Vorfälle, Erinnerungen und Erfahrungen ansehen konnte. Als ich das Buch weglegte, erinnerte ich mich, wie ich als Kind selbst im Geiste und mit dem Rucksack durch Indien gereist bin. Das Buch "India - A Journey Through a Healing Civilisation" von Shashank Mani gibt es leider nur auf Englisch. HarperCollins-Verlag, Indien, 2007. Dritte Auflage 2012. Wer wagt es?
















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