Montag, 15. September 2014

Mein Silberhaar weht unverdrossen

Männer können auch sensibel sein. Oft sind sie jedoch keine Spezialisten auf diesem Gebiet. Wenn man (als Mann) reich an Jahren ist, versteht man die Welt besser. Man weiß, wer man ist und wo die eigenen Schwächen liegen. Ich möchte mich gerne mit Gustav Mahler vergleichen, obwohl ich kein genialer Komponist und Dirigent bin oder war. Was wir gemeinsam haben: wir fingen schon als Kinder an, uns in Frauen zu verlieben, die natürlich auch noch Kinder waren. Wenn die Geschichte stimmt, verfiel ich schon ein Jahr früher als der kleine Gustav den Reizen des anderen Geschlechts. Ich hoffe auch aufrichtig, dass Gustav sich später noch an die Namen erinnern konnte, als der Sturm der Verliebtheit vorüber war.


Meine erste große Liebe geschah im Kindergarten, unter den Augen einer strengen aber gerechten Nonne. Wir müssen so um die 5 gewesen sein. Sie war zart, blond, zierlich und etwas zurückhaltend. Dennoch, als es geschah, war ich der glücklichste (künftige) Mann der Welt. Ganz langsam näherte sich ihr Mund, feucht wie er war, meinen Lippen. Ich erhielt den ersten Kuss, an den ich mich erinnere, wenn ich von Mama-, Opa- und Omaküssen einmal absehe. Die Katastrophe folgte auf dem Fuß: sie starb, aus Gründen, die mir nie jemand erklärte. Die Beerdigung war eine schlimme Sache. Ihre Eltern erlaubten mir jedoch, in meiner Trauer gleich neben ihnen hinter dem winzigen weißen Sarg herzulaufen. Nach all den Jahren kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern. Aber Liebe muss es gewesen sein.

Gustav Mahler verliebte sich mit 6. Da er ein musikalisch gebildetes Kerlchen war, komponierte er gleich ein Lied für sie, das allerdings nicht erhalten ist. Wie wahnsinnig gerne würde ich dieses Lied kennen. Gustav Mahler, der 1860 in Böhmen geboren wurde und mit 51 Jahren in Wien starb, verliebte sich regelmäßig, genau wie ich. Eines der Mädchen hieß Christa Name von der Redaktion NICHT geändert). Nie werde ich sie vergessen, Ich muss 15 oder so gewesen sein, sie ein klein wenig jünger. Ihre Augen waren veilchenviolett. Ihr Haar golden. Ich schämte mich meiner Pickel und fürchtete beim ersten Spaziergang im Frühling, ich würde sie langweilen. Ihr freundliches Lachen wirkte etwas gezwungen. Sie sprach wie ihre ältere Schwester. Auf ihren Busen habe ich nicht geschaut, aus Angst, sie würde es merken. Das ging eine Weile, dann wurde mir gesagt, dass ihre Beine nicht schlank seien, sondern recht dick. Ich wurde wütend und beendete meine Annäherungen, weil ich damit nicht umgehen konnte. Ich oberflächlicher Idiot.

Wiener Oper

Gustav Mahler hat sich auch bei jedem Ortswechsel  in eine Neue verliebt. Wie gut ich das verstehe! Ich könnte ganze Listen anlegen. Bei Gustav ist bekannt, dass er einen Mutterkomplex hatte. Sigmund Freud selbst hat ihm dies nachgesagt. Mahler suche in jeder Frau seine Mutter, meinte Freud. In Wien war es eine Josephine Poisl, in Kassel eine Johanna Richter. In Leipzig eine Marion von Weber. In Hamburg dann gleich zwei: Natalie Bauer-Lechner und Anna von Mildenburg, eine Sängerin, die er in Wien wieder traf. Dazu kam eine andere Sängerin, Selma Kurz. Nach diesen aufregenden Versuchen wurde Alma Schindler geheiratet, die für ihn die Mütterchenrolle spielte, obwohl sie als Musikerin selbst hoch begabt war. Im Jahr 1904 vollendete er seine Kindertotenlieder, während seine munteren Töchter Maria Ann und Anna Justine fröhlich im Garten spielten. Alma hatte Schwierigkeiten, das zu verstehen.


Alma Mahler machte dann noch nach Mahlers Ableben Karriere als Ehefrau, denn sie heiratete den Architekten Walter Gropius, ließ sich wieder von ihm scheiden, um dann den Dichter Franz Werfel zu heiraten. Meine eigene Karriere als Verliebter möchte ich hier aus Bescheidenheit abbrechen. Nur noch eine Erwähnung aus der Kindheit: das Dorle, die 10jährige Tochter der Einhornapotheke. Sie sprach nie mit mir, schaute mich jedoch von hinter der Theke mit ihren großen Augen an, und manchmal flogen ihre blonden Zöpfe, dass es nur so seine Art hatte. Als ich die Schule wechseln musste, war es vorbei.

Ich möchte dich nicht mehr begleiten,
als Stück Mann, und, wie eine Sache,
als Schmuckstück, dass ich nicht lache, 
als Affe neben dir schreiten.

Mein Silberhaar weht unverdrossen.
Im Bauch schwirr'n immer noch Dinge,
ich nenne sie Schmetterlinge.
Für sie hab' ich Tränen vergossen.

Sie fliegen wie Blätter im Sturm
und wollen  geliebkost sein. 
Doch in jedem Glas Wein
sitzt jetzt ein silberner Wurm.


















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