Freitag, 18. April 2014

Wiener G'schichten - Der frühe Vogel fängt den Wurm

Pustekuchen. Als wir auf dem Kahlenberg am Rande von Wien, mit Hilfe eines wildgewordenen Busfahrers, ankamen, zwitscherten die Vögel, besangen den Frühling, und wir liefen los. Die Sonne schien, ein leichter Wind blies uns um die Ohren, und der Wanderweg war noch ruhig und unbevölkert. Franz Grillparzer, der vielgeliebte österreichische Dichter soll gesagt haben: "Nur wer am Kahlenberg war, hat Wien gesehen". Das stimmt zwar so nicht, macht aber nichts. Der bloß 484 m hohe Kahlenberg war 1683, bei der 2. Türkenbelagerung, der Ausgangspunkt für die Befreiung Wiens. Der Blick über ganz Wien, manchmal bis in die Kleinen Karpaten der Slowakei hinein, ist grandios. Morgendlicher Dunst über der Landschaft lässt von herrlichen Tagen träumen. Die Natur ist allgegenwärtig.

Wir streiften durch Buchenwälder mit ihrem frischen Grün und entdeckten längst vermisste Pflanzen, die am Wegrand sprießten: Aprilveilchen, die nicht mehr rochen, Maiglöckchen, deren Duft in unsere Nasen drang, obwohl sie noch nicht ganz geöffnet waren. Und der Waldmeister, der anfing zu blühen. Dazu ganze Heerscharen von Walderdbeeren im Blütenstand. Noch ein paar Wochen, und Tausende Beeren können gepflückt werden. Seit Jahrzehnten habe ich keine Waldmeisterbowle mehr getrunken.
Erinnerungen daran, etwa am ersten Mai, lassen mich daran denken, wie mein Vater die Bowle ansetzte. Zuerst musste es richtig warm sein draußen, und die Waldmeister mussten voll aufgeblüht sein. Ein Bündel Blüten wurde in einen halben Liter Weißwein gelegt. Etwa zwei Stunden lang. dann wurde ein Glas Schnaps dazu geschüttet und das Ganze mit dem Rest des Weines aufgefüllt. Dazu kam eine Flasche Sekt. Ein paar Eiswürfel durften auch nicht fehlen. Dann war die Bowle fertig. Ein herrliches, erfrischendes, frühsommerliches Getränk, das aus speziellen Gläsern getrunken wurde.

Plötzlich entdeckten wir an den Blättern der Buchenbäume viele kleine Löcher, offensichtlich von Insekten gefressen. Eigenartig, dachten wir und sahen die zahlreichen, etwa 1 cm langen Würmchen über unsere Kleidung hoppeln. Irgend etwas muss in der Natur schiefgegangen sein, denn diese Tierchen werden normalerweise von anderen gefressen. Oder haben wir es mit einer neuen Bedrohung unseres Planeten zu tun? Ich denke, dass auch die Angriffe der Türken in Wien gut überstanden wurden. Der Türkentrank ist uns geblieben. Wien ist in Sachen Kaffee Weltmeister. Und ein paar Würmchen, wen stört das? Doch der frühe Vogel, dem man gerne nachsagt, er fänge den Wurm, muss versagt haben. Trösten wir uns mit dem guten Wein, der auch am Kahlenberg wächst. Der wildgewordene Busfahrer ratterte uns dann voll beladen wieder zu Tal. Es war der Bus, der voll war, nicht wir.

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