Mittwoch, 20. November 2013

BlickKontakt als AnsichtsSache - Christl Schneider-Götz

Die Augen, die Farben und die Vorstellung, die gehören zusammen. Jeder sieht ganz anders. Farben und Pinselstriche sprechen ihre eigene Sprache. Wenn Christl Schneider-Götz sich vornimmt, etwas malerisch zu gestalten, kann man sich auf Überraschungen gefasst machen. Blickkontakte und Ansichtssachen, die künstlerischen Anliegen der vergangenen Ausstellungen, sind bereits abgelegt. Ist es Rastlosigkeit oder einfach das Suchen nach dem Unbekannten, das die Künstlerin zu immer neuen Inhalten treibt?

Bei ihrer letzten Ausstellung, die sie mit Künstlerkollegen im Deggenhausertal (Bodenseegegend) gerade erfolgreich hinter sich gebracht hat, wagte sich Christl Schneider-Götz, eine begabte Malerin und Pädagogin, auf neue Pfade: sie bearbeitete ein Frauenthema. Nicht etwa, in emanzipatorischer Absicht, was ja die Malerei schon früh beschäftigt hat. Also keine Blumen für Alice Schwarzer. Ihr Ansatz ist dieses Mal viel verzwickter. Frauenbewusstsein? Nachdenken über Frauenporträts, die im Zeitraum von 70 Jahren gemalt wurden, Frauen des gehobenen Bürgertums, die Persönlichkeiten waren, aber nicht die Freiheit besaßen, ihre Individualität zum Ausdruck zu bringen. Gefangene in ihren Rollen.

Opfer der Revolution

Die Marquise de Sorcy, um 1790 von Jacques-Louis David gemalt, wurde ein Opfer der Französischen Revolution. "Vor dem Schafott" nennt Christl ihr Porträt, das dem der Marquise nachempfunden ist. Wilhelm von Schadow malte 1826 eine Fanny Ebers, die in ihrer schönen Gefangenheit eine weitere Ansicht der Frau als Zugabe des Mannes gesehen werden kann. Dann, die "Nanna", vom berühmten Anselm Feuerbach 1861 gemalt, lässt erahnen, wohin der Weg der modernen Frau geht: in eine Befreiung vom Joch des ewigen Anhängsels in der Männerwelt.

Schneewittchen?

Die Ausstellung ist leider zu Ende. Christls Porträts wirken jedoch weiter, während die von ihr beschworenen Originale längst selbstverständliche Klassiker geworden sind.  Von Jacques-Louis David kennt man vor allem Napoleons stürmischen Ritt über die Alpen und Porträts des Sonnenkönigs im neoklassischen Stil. Dass Christl das Bild der Marquise "Vor dem Schafott" nennt, zeigt Macht und Ohnmacht der Frau in einer revolutionären Zeit.

Der deutsche Maler Wilhelm von Schadow, ein Mitbegründer der Düsseldorfer Malerschule, prägte die klassizistische Malerei des beginnenden 19. Jahrhunderts. Vielleicht ist sein Bild "Josephs Traumdeutung im Gefängnis" am bekanntesten. Heute würde man diese Kunst leichtfertig zu den "alten Schinken" zählen, als hätten sie nur eine zeitlich festgelegte Bedeutung. Jedoch lässt dies die symbolistisch wirksame Kunst von Schadows nicht zu. Christl Schneider-Götz hat aus seinem Porträt der Fanny Ebers "Schneewittchen" herausgesehen. Eine eigenwillige Sehkunst. Sehe ich recht?

Christls Nanna

Ähnliches geschah mit Anselm Feuerbachs "Nanna". Anna Risi, die für Feuerbach Nanna war, eine Römerin, die ihre Familie aufgab, um mit Feuerbach als seine Muse zu leben, wurde 28 mal von ihm porträtiert. Eine Obsession? Sie entsprach dem Ideal der klassischen Schönheit. Als Iphigenie kennt man sie am besten. Als Porträt hängt sie in Berlin, Köln, München, Stuttgart, Karlsruhe und Wuppertal.  Christl Schneider-Götz fand sie malenswert genug, um das neue Selbstbewusstsein der Frau auf ihre Weise wiederzugeben.

Eine Betrachter-Bild-Beziehung wollte Christl mit ihren Porträts aufbauen. Das ist ihr gelungen. Damit hat die Künstlerin es wieder geschafft, den Betrachter auf ihre Sehweise einzuschwören. Eine Malerin, die sich um den Betrachter bemüht. "Ferne Freundinnen" werden diese Frauen genannt, denen durch Christls Porträts ein klarer Bezug zum Heute eingeräumt wurde. Das ist einzigartig und verdient Beachtung.

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