Samstag, 10. November 2012

Der Schrei der Möwe auf Söl



Die Windrichtung stimmt immer


Söl ist die friesische Bezeichnung von Sylt, der Insel im Norden Deuschlands, einer Perle Schleswig-Holsteins. Friesisch ist auf der Insel immer noch anzutreffen: Weesterlön ist Westerland, Kampen wird zu Kaamp und Keitum heißt Kairem. Diese friesische Mundart auf Sylt nennt sich Sölring. Der Jöölboom ist eine Art Weihnachtsbaum, ein Holzgestell, an dem ein Kranz mit immergrünen Zweigen befestigt ist. Biikebrennen heißen die Feuer, die früher die Walfänger im Frühjahr für ihre beschwerliche Fahrt ins Nordmeer verabschiedeten. Diese weithin sichtbaren Feuer gibt es noch immer. Man kann also, wenn man es will, sich auf Sylt wie in einem fremden Land fühlen. Nur Kokospalmen werden hier vermisst.


Komische Vögel, sturmerprobt

Cath und ich haben uns bei einem kürzlichen Aufenthalt auf Söl neugierig umgesehen. Es fällt auf, dass viele Häuser in Ost-West-Richtung gebaut sind, dem Westwind zum Trotz. Auch einen Schirmträger sahen wir, dessen schwarze Regentrotze irgendwie windschnittig geformt war, als würde sein Träger nur in Ost-Westrichtung gehen. Und, wir sahen auch, dass Möwen beileibe nicht allein über die Lufthoheit auf Sylt verfügen. Neben Lach- und Sturmmöwen tummeln sich Seeschwalben und Säbelschnäbler, Austernfischer, Kiebitze und Brandgänse. Von Goldregenpfeifern und Pfahlschnepfen abgesehen. Aber, was treibt der Alpenstrandläufer auf Sylt? Ein Zugereister?

Frecher Vogel

Der Schrei der Möwe, oder eher ihr Krächzen, ist typisch für die Küste. Sehnsuchtsvoll oder gierig, man weiß es nicht. Als ich in Westerland ein paar Fritten mitnehmen wollte, um den dreist wartenden Möwen etwas Gutwes zu tun, warnte mich die Bedienung: "Das wird hier schwer bestraft. Die Möwen sind sehr agressiv. Mir hat neulich eine das Brot aus der Hand gerissen". Also ließ ich es. Möwen sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Vielleicht wurden sie in einer Bank geschult. Wir wissen es nicht. Anderes Getier gibt es zuhauf: den Seestern, den Einsiedlerkrebs, die gemeine Krabbe und die pazifische Auster. Sie sind nur die Spitzen jenes ozeanischen Eisberges, dem die Walfänger auszuweichen hatten, als es den Walfang noch gab.


Sylt gehörte auch einmal zum Festland wie die anderen nordfriesischen Inseln. Nach der 2. sogenannten Marcellusflut, im Jahre 1362, war dies nicht mehr so. Später wurde die junge Insel etwas seltsam, denn sie machte sich schön für die Reichen unseres Landes. Also kann ein Glas Wein hier schon mal 15 € kosten. Das ist nur die Spitze des Eisberges. Darunter verbergen sich noch teurere Dinge wie Grundstücke, Juwelierläden, Kleiderboutiken, Nobelrestos.


Wir mieteten uns das kleinste Elektro-Auto, das die Insel zu bieten hat, ließen uns von Carreras und S-Klassen überholen und erreichten so fast die Nordspitze der Insel: den Hafen von List. Dort gibt es die alte Tonnenhalle, heute ein Markt, wo man nach Herzenslust Fisch einkaufen kann. Ein Paradies auch für andere Leckereien. Daneben das Erlebniszentrum "Naturgewalten", das all das entdekcen lässt, was man aus Zeitmangel oder Unwissen verpasst hat. Etwa die vielen, jetzt eiskalten, Nacktstrände, von denen der erste 1920 als FKKstrand (Freikörperkultur) entstand. Diese obszönen Badestrände haben etwas durchaus biederes. Außerdem sind sie bei Kälte doch angenehm bevölkerungsarm. Andererseits gibt es für Nackedeis hier gute Gründe: die etwa 1900 Sonnenstunden im Jahr, denen im Bundesdurchschnitt etwa 180 Sonnenstunden weniger gegenüber stehen.


Sylt ist ein fremdes und doch so vertautes Land. Der Wind weckt Sehnsüchte, die im Regen wieder verblassen und in den Gemälden des Himmels wiedererstehen. Wolkengebilde, die dem Maler Emil Nolde den Pinsel geführt haben. Der Schrei der Möwe, der nie verstummt. Das Meer, das nie versiegt. Sylt, geliebte Insel für arm und reich.









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