Montag, 17. September 2012

Wo bleibt der gesunde Menschenverstand?



Es könnte sein, dass die Engländer diesem Begriff des "common sense" zu einer universalen Bedeutung verholfen haben. Common sense ist das, was zum nüchternen Abwägen des Für und Wider einer konfliktreichen Situation führt. In normalen Fällen kann ich selbst entscheiden, was ich will: trage ich Lederhoden in New York, einen Pyjama am Picadilly Circus, oder beidseitig herunter hängende Löckchen in einem orthodoxen Viertel, irgendwo auf der Welt? Bin ich total verschleiert, wenn die meisten in dem Land, in dem ich lebe, wie gottlose Evastöchter herumrennen? Habe ich da Anpassungsschwierigkeiten? Und, erlaubt mir meine Religion lebensfähige Kompromisse? Kopftuch im stillen Kämmerlein? Lederhose nur zwischen Hamburg und München? Orthodoxes Verhalten, nur wenn es niemand stört? Allahverehrung als stilles, unagressives Gebet? Jeder hat ein Recht, so zu sein wie er ist.


Aber, woher kommen dann diese täglichen Irritationen? Heute höre ich im Radio: "Wenn der Prophet beleidigt wird, sind wir bereit, zu sterben". Meine erste Reaktion ist: Unsinn. Meine zweite: immer noch, Unsinn oder Schwachsinn. Der Prophet will das nicht! Natürlich muss man nach den Gründen für solche Reaktionen fragen. Übergroße Intelligenz ist mit solchen Reaktionen nicht verbunden, denn Allah/Gott/Jehova/Manitu/DerdaOben hat das Leben geschaffen, warum sollte er (sollte er ein Mann sein und nicht eine Frau) es dann auf solch trotzige Art wieder nehmen wollen? Der gesunde Menschenverstand sagt: Lebe und lasse leben. Wir haben Rechtssysteme erfunden und durchgesetzt, damit jeder eine gleiche Chance kriegt, sein Leben zu meistern. Nicht in ständiger Demut und Zurückgesetztheit, sondern, genau wie die Vögel am Himmel, die, im Frühling ihres Lebens, laut tirilieren und eine ungetrübte Freude daran haben, auf der Welt zu sein.

Aber der Ursachen für schwachsinnige Ausbrüche von Gewalt sind viele. Die meisten schwelen unter der Oberfläche oder sind längst vergessen: Kriege, Gewalt, Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus und Habgier. Viele dieser vermeintlich überwundenen Ursachen überschneiden sich. Die Satanischen Verse Salman Rushdies, die keiner gelesen hat, stehen als lebensbedrohende Irritation immer noch im Raum. So wie die Sieger nach einem Krieg sich auf die Verlierer stürzen, um sie zu vernichten, auszurauben und/oder zu unterjochen, geraten im Zeitalter der allgemeinen Menschenrechte die scheinbar Unterdrückten in Wut, wenn ein kleiner Anlass wieder einmal den Sturm im Wasserglas veranlasst. Warum?


Gerade geht es um einen dämlichen Film, den keiner sehen möchte. Weder die an Mohammed Uninteressierten (Jawohl, die gibt es auch!), als auch die, die eigentlich gute Muslime sind oder sein wollen. Also nutzt man wieder einmal einen Vorwand, um mit einem Gemisch aus Hass, Gewalt, Missverständnis und Aggression auf den Falschen herumzuhacken. Da reicht der Terror von Somali, mit seiner seeräuberischen Armut, bis in die USA, wo Rassismus, Kolonialismus und rücksichtsloser Kommerz sowohl im Land selbst als auch überall auf der Welt noch immer spürbar sind: Irak, Iran, Vietnam, Korea, Kuba usw. Dass wir Deutsche bei unseren Einschätzungen überaus zurückhaltend sein müssen, haben wir den Rassisten und Kriegsverbrechern von 1933 bis 1945 zu verdanken. Russland ist auch noch nicht fertig mit seiner Vergangenheit. Für Japan ist die Altschuld damit verbunden, dass über 20 Millionen Chinesen durch die japanische Invasion ihr Leben ließen und keine offizielle Anerkennung dieser Schuld die Lage normalisiert hätte. Dafür macht Japan mit China Riesengeschäfte und wundert sich, dass jetzt ein Gezänke um ein paar unbewohnte Inseln losbricht.


Die Ärmsten haben natürlich zuerst kapiert, dass bei Kriegen ungeheure Werte zerstört werden, die - nicht von den Kriegsgewinnlern, sondern von den Opfern -  wieder erbracht werden müssen. Vielleicht ist das die eigentliche Ursache für das Aufwallen von sinnlosen Konflikten und die Anwendung von Gewalt, egal, wo. Dabei werden wir in wenigen Jahren ganz andere Kriegsschauplätze haben: Wo soll die Nahrung herkommen für über 8 Milliarden Menschen? Das Trinkwasser? Die Rohstoffe? Toleranz heißt vor allem: Irritationen vermeiden, lächeln, auch wenn man sich nicht danach fühlt, und nicht immer auf das hohe Ross sitzen, wenn es anders geht. Mit anderen Worten: der gesunde Menschenverstand gilt für alle. Sogar für die, denen eine Reihe von Gründen und ein Gemisch von Argumenten zu Gebote stehen, sich lauthals zu empören.



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