Freitag, 7. September 2012

Die Briten, ein Volk mit Behinderung?




Jeder weiß, dass die Nazis die Konzentrationslager nicht erfunden haben. Das macht sie nicht weniger kriminell. Die Briten waren es, sagt man, die "concentration camps" in Südafrika zum erstenmal zum Einsatz brachten. Das stimmt so nicht: die USA hatten schon 1838 solche Lager zur zwangsweisen Umsiedlung der Cherokesen. Im kubanischen Unabhängigkeitskrieg (1868-1898) waren es die Spanier, die "aufständische" Greise, Frauen und Kinder internierten, von denen mehr als ein Drittel verhungerten. Dann kommen die Briten: in Südafrika, beim zweiten Burenkrieg (1899-1902), wurden die Frauen und Kinder der Buren und Afrikaner in "concentration camps" zusammengefasst. Auch in der ehemaligen  deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika wurde in Lagern Völkermord an den Herero und Nama betrieben, diesmal von den Deutschen.


Weiß jedoch noch jemand von den KZs zur Abschiebung von osteuropäischen Juden, Sinti und Roma, etwa, in Burg Stargard (heute Mecklenburg-Vorpommern), die 1923 erst auf Proteste hin abgeschafft wurden? Wegen Unmenschlichkeit. Die Nazis haben also nichts auf diesem Gebiet erfunden. Und Behinderte wurden neben Juden, Dissidenten, Zeugen Jehovas und anderen ebenso eiskalt umgebracht. Die Liste dieser Vernichtungslager kann nur die Spitze des Eisberges sein, der an der Unschuld der meisten Länder zweifeln lässt. Die Nazis waren die schlimmsten. Die Briten waren als Kolonialmacht und Welteroberer auch nicht sehr zimperlich. Die Frage ist, wie Großbritannien mit diesen Altlasten aus seiner Geschichte heute umgeht.

Es erstaunt mich immer wieder, wie in diesem Land, das in einer schwer zu überwindenden Traditionslast befangen ist, solche heikle Themen der Vergangenheit behandelt werden. Das historische London hat alle Grausamkeiten einer Metropole gekannt: Pest, Raub, Mord, Betrug, Diskriminierung, Sklaverei. Wie man damit heute dazu steht, ist die interessante Frage. Gerade höre ich im Radio, eine deutsche Zeitung habe es abgelehnt, auf der Titelseite ein Foto mit einem Paralympic-Sieger mit nur einem Bein zu zeigen. Vor Jahren gab es berechtigte Empörung, weil ein deutscher Hotelgast in seiner Herberge keine
Körperversehrten sehen wollte. Warum ändert sich hier nichts?


Bei den Paralympics in London zeigt sich wieder einmal, wozu die Briten fähig sind: ohne ihre nicht sehr unschuldige Vergangenheit zu leugnen, lernen sie konsequent aus
den Geboten der Zeit. Sie wissen, dass ihr Land keine Weltmacht mehr ist. Sie wissen, dass sie die reichsten nicht mehr sind. Sie wissen auch, dass es in ihrem Land unzählige ethnische Gruppen und Minderheiten gibt, denen man mit Respekt begegnen muss. Und sie wissen auch, dass sie jetzt zu den besten Olympioniken gehören, sowohl auf der unversehrten, als auch auf der versehrten Seite. Bei der gegenwärtigen Begeisterung für die 2. Olympischen Spiele dieses Jahres, die in London stattfinden, kann  man verstehen, dass behinderte Menschen in diesem Land ganz anders angesprochen werden als in Deutschland, das sich vor allem den Vorsprung durch Technik auf die Fahnen geschrieben hat. Fast würde ich nach diesen Spielen einen neuen Begriff prägen wollen: die "olympische Mitmenschlichkeit" Großbritanniens. Schließlich ist die Königin dieses Landes dafür aus dem Hubschrauber gesprungen.

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