Samstag, 21. April 2012

BILD wird sechzig - ich schäme mich

Es kommt selten vor, dass man sich fremdschämt. In diesem Fall tu ich das seit Jahren. Boulevard-Zeitung? Dreckschleuder? Sensationsblatt? Hetzblatt? Käsblatt? Man kann sich aussuchen, wohin der geschmackliche Wind bläst. Tatsache ist, dass dieses Blatt von Anfang an die eigene Pressefreiheit dazu benutzt hat, Emotionen auszulösen, dem angeblichen Volksempfinden aufs Maul zu schauen und am politischen Rad zu drehen. Gefährlich für die einen, die nicht nur mit dem Fahrstuhl hinauf, sondern auch gerne wieder hinuntergefahren werden. Christian Wulff ist einer von denen. Unverdient schmeichelhaft für die anderen: Von und zu Guttenberg wurde in unkritischer Weise bis zuletzt oben gehalten. Nibelungentreue? Günter Wallraff hat schon vor Jahren zu den BILDmethoden alles gesagt.




Als ich als Werkstudent und Straßenbahnschaffner arbeitete, sah ich, wie schon am frühen Morgen die 10-Pfennigpostille wie eine Droge den Verkäufern aus der Hand gerissen wurde. Später dann, beim Zahnarzt, konnte man das Blatt auch kostenlos lesen. Ich kaufte die BILD, als sie einmal pompös titelte: Wird Elisabeth Königin von Europa? Das beunruhigte mich als Republikaner. Zehn Pfennige für eine exklusive Information, warum nicht? Und in der Süddeutschen hatte ich davon nichts gelesen. Das Ergebnis meiner Lektüre war, dass der Elefant eine journalistische Maus geboren hatte. Eine Totgeburt, die aus den Fingern gesaugt war. Seit nunmehr 60 Jahren, eine von unzähligen Luftblasen. Daraufhin ignorierte ich das Blatt, und komme mir deshalb noch immer nicht ungebildet vor.

Auch mit Kampagnen kann man sich in die Herzen der täglich 12 Millionen Leser einschleichen: Ein Herz für Kinder. Wer möchte da nicht dabei sein? Auch die unsäglich aufreizenden Busen, wer will da nicht hinschielen? Nein, ich finde keine lobenden Worte für dieses Erzeugnis. Ich kenne andere Blätter in anderen Ländern, die genauso vorgehen: das blinde Huhn kann natürlich auch mal ein Korn finden, aber dafür ist echter Journalismus viel zu schade. Scheinheilige Empörung, nasswarmes Mitgefühl, Tatsachen als Aufputschmittel. Auf die Wahrheit, auf die Realität und die umfassende Information kommt es an, nicht auf das sensationsgierige Aufblasen von kleinen Mäuschen. 60 Jahre sind 60 Jahre zu viel.

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