Freitag, 25. November 2011

Ahmet und Kristina, Teil 4


Kristina hatte sehr schlecht geschlafen. Unruhig bewegte sie sich in ihrem Bett hin und her und dachte an diese völlig unerwartete Wende in ihrem Leben. Sie stellte sich vor, sie würde Türkisch lernen, einfach, um Ahmet eine Freude zu machen. Dies würden die Eltern aber nicht erfahren. Sie verwarf den Gedanken, denn Sprachunterricht kostete auch Geld, und das hatte sie nicht. Schließlich konnte auch Ahmet ihr helfen, die Grundbegriffe zu erlernen. Von ihren sprachlichen Fähigkeiten war sie einigermaßen überzeugt. Nicht aber davon, dass sie ihrer Mutter glaubhaft mitteilen konnte, warum sie unbedingt wieder gegen elf Uhr einen Spaziergang in die City machen musste, zumal es gerade angefangen hatte, zu regnen.. Notfalls würde sie einfach davonlaufen und danach einen Disput mit den Eltern riskieren. Es kam anders, und Tina hatte Grund zum Jubeln: die Eltern waren zum Brunch bei Bekannten eingeladen. Gegen elf Uhr wollten sie das Haus verlassen. Nun ging es nur noch darum, Ahmet nicht allzu lange warten zu lassen. 
Als Kristina etwas hektisch und leicht verspätet, fast außer Atem, sich schnell neben Ahmet auf die Bank setzte, waren beide froh, sich wiederzusehen. Ahmet küsste sie wie eine alte Freundin, dabei fehlte ihm bis gestern jede Erfahrung. Sie nahm seine Küsse wie Geschenke entgegen und lächelte verzaubert. Es dauerte nicht lange, und sie gingen fast automatisch in Richtung Haus von Onkel Turgut und Tante Jane. Kaum angekommen, sagte Ahmet: „Ich habe dich angelogen. Wir kommen von der gleichen Insel. Verzeihe mir, ich halte es nicht immer für notwendig, allen zu sagen, dass ich aus Zypern stamme. Meine Heimat, die von deiner Heimat durch eine Grenze abgetrennt ist, wird nicht einmal als Staat anerkannt, wie du weißt. Es tut mir so leid.“ Ahmets Augen glänzten verräterisch. Das alles hatte wie das Eingeständnis einer Sünde oder eines Verbrechens geklungen. Kristina sagte nur: „küsse mich“ und hielt ihm ihren ganzen Körper hin. Nun wusste Ahmet, dass Kristina ihn nicht verlassen würde. Sie würden für immer zusammen bleiben. Beide schauten sich glücklich an. Tinas weiche Brüste wurden sanft an seinen Körper gepresst. Einen Augenblick lang zögerten sie. Doch dann durchströmte sie ein Gefühl unbegrenzten Glückes und gegenseitigen Vertrauens. Wir gehören uns, dachten beide. Ahmet begann, wie im Traum, Kristina zu entkleiden. Es dauerte einige Zeit. Als sie ihm half, seine Sachen abzulegen, bemerkte sie, dass sie mehr Geschicklichkeit an den Tag legte als er. Seine Bewegungen waren eher unbeholfen. Doch sie liebte seine fast bärenhafte Art, sich zu bewegen und seinen männlichen und wohlproportionierten Körper. Sie sah, dass eine zarte Röte ihn umhüllte. Alle Befürchtungen und Hemmungen beiseite schiebend, liebten sie sich so intensiv, dass sie nicht bemerkten, wie unbequem das Sofa war, auf dem sie sich niedergelassen hatten. Das spielte auch keine Rolle. Tinas Körper konnte nicht schöner sein. Er war sehr geschmeidig, bog sich unter Ahmets Last und duftete nach Kräutern und Seife. Sie hatte nicht an das Parfüm ihrer Mutter gedacht. Ahmets Wäsche lag überall im Zimmer verstreut umher. Er hatte sie am Morgen frisch aus dem Schrank geholt, nach einer gründlichen Dusche, die Onkel Turgut gelegentlich dazu reizte, ironische Bemerkungen zu machen. Dennoch roch Ahmet ein wenig nach Tabak, denn er hatte das Warten auf Kristina mit dem Rauchen mehrerer Zigaretten überbrücken müssen. Beide hatten zum erstenmal das Schönste erlebt, was Menschen, die sich lieben, begegnen konnte. Ahmet erdrückte Tina fast mit seinen Küssen. Es verstrich sehr viel Zeit, bis sie etwas sagten. „Meine Aphrodite, willst du mich heiraten?“ jubelte er. „Ja, ja, ja!“ Es klang wie ein verhaltener Schrei. Dann nahm er sie zart um die Hüfte und führte sie in die Küche, wo sie, noch unbekleidet, anfingen, alles zu essen, was ihnen in die Hände fiel.
Ein Anruf riss sie aus ihrem Traum. Es war Onkel Turgut, der nur wissen wollte, ob alles in Ordnung war. Ahmet errötete tief und stotterte etwas auf Türkisch, das Kristina nicht verstand. Von seiner geliebten Besucherin sagte Ahmet nichts. Es war keine Ernüchterung, eher Nachdenklichkeit, die sich einstellte, als er den Hörer aufgelegt hatte. Wie würde es weitergehen? Ahmet dachte an seine Familie, sein Studium, die düsteren Aussichten, den türkisch-zyprischen Teil seiner Insel betreffend, an Tina, die er auf jeden Fall heiraten wollte, und die auf der griechisch-zyprischen Seite zuhause war. Ein Blick auf die Uhr veranlasste Sorgenfalten auf Kristinas Stirn, die Ahmet mit beschwichtigendem Lächeln wieder und wieder hinwegzuküssen versuchte. Dabei streichelte er sanft über ihren unbedeckten Rücken, hob ihr Kleid vom Boden und reichte es ihr zum Anziehen. Kristina musste dringend nach Hause. Es war weit über drei Uhr nachmittags. Die Eltern mussten schon längst vom Brunch zurück sein. „Was werde ich ihnen erzählen? Ich werde lügen müssen, denn die Wahrheit wäre für sie unerträglich.“ Vater hatte sogar einmal aus geringem Anlass, in einem Anfall von Ungehaltenheit, wohl auch, weil sie ein Mädchen war, die Hand gegen sie erhoben, im letzten Augenblick sich jedoch eines besseren besonnen. Das hatte sie nie vergessen. Ahmet folgte ihr bis zur elterlichen Wohnung, küsste sie noch einmal flüchtig, denn er wollte nicht, dass sie gesehen würden und verabschiedete sich, indem er ihr rasch seine Telefonnummer zusteckte. Natürlich würden sie sich wieder treffen: gleiche Zeit und gleicher Ort, am folgenden Tag. Es durfte nur nichts dazwischen kommen.

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