Dienstag, 17. Mai 2011

Zeit der Kirschen - Erotik pur

Dein kirschroter Mund! Wer das zu hören bekommt, weiß was es geschlagen hat. Dichter und Sänger müssen diesen Vergleich ausgeheckt haben. In Köln soll es sogar ein Restaurant mit dem Namen "Die Zeit der Kirschen" geben. Zizi Jeanmaire, die rauhbestimmte, Straußenfedern schwingende Bühnenikone, die mit dem Lied "Le temps des cerises" Paris unsicher gemacht hat, und auch Wolf Biermann haben sie beschworen, diese rotschwarz glänzende Frucht, die angeblich zur Römerzeit mit den heimwärts ziehenden Söldnern vom Schwarzen Meer in westliche Regionen mitgewandert ist. Schon deshalb sollten wir allen Ausländern, die von weit her zugewandert sind, mit Wohlwollen begegnen, denn ihre Früchte sind uns wohlvertraut. Mangos, Bananen, Feigen, Orangen und Zitronen bleiben jetzt aber mal außen vor.

Der Eros, leicht verkürzt, die Liebe zu etwas, hat mich immer schon beschäftigt. Gerade der von englischsprachigen Kirschessern oder Cherrymampfern als völlig "unerotic" bezeichnete Hang, der Kirsche etwas Erotisches zuzuordnen, hat mich als Kind in helle Erregung versetzt. Zuerst siehst du sie blühen, nicht nur im fernen Japan, sondern überall in Deutschland. Diese Vorfreude hat ihre Zeit. Die Frucht reift mit dem Frühling, und, fast über Nacht, schimmern die ersten rötlichen Kügelchen an den Bäumen. Dann ist es soweit: der erste Korb voller Kirschen steht vor dir. Mal ehrlich: ist das nicht ungeheuer erotisch? Später allerdings, wenn diese Frucht schwärzlich zu glänzen beginnt, stellt sich auch die Furcht ein, es könnte der Wurm drin sein. Damit lernt man als kleiner Junge schnell zu leben. Hauptsache, man kann den Kern weiter spucken als der Freund oder die kleine Schwester.

Mich haben diese Kirschen immer ganz geheimnisvoll angestarrt. Voller Versprechen. "Wir sind für dich da", glänzen sie mich an. Sie wachsen paarweise und können deshalb von Mädchen und Jungs leicht übers Ohr gehängt werden. Der Fleck auf dem weißen T-shirt ist nicht mehr wegzukriegen. Er gehört dazu. Auch die schwarzen Lippen und Zähne, die den hemmungslosen Esser verraten.

Nein, dies ist  keine Abhandlung über die Kirsche, sonst würde ich systematisch an die Sache
rangehen. Wozu hat man das Lexikon oder das Internet? Es ist die lebenslange Ehrerbietung für eine Frucht, die klein, bescheiden, süß, saftig und erotisch daher kommt. Sie hat Vitamine und Mineralien, treibt Wasser und lockt die Wespen an. Das alles lässt mich kalt. Ich esse meine Kirschen eigentlich wie ein verliebtes Tier. Eben erotisch und angstbesessen, die Zeit der Kirsche könnte allzu schnell wieder vorüber sein. Mit mir ist wirklich gut Kirschen essen.

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