Donnerstag, 7. April 2011

Unser Frühling

Zaghaft, etwas schamhaft, doch unaufhaltsam kehrt er zurück. Lange hat er so getan, als gäbe es uns nicht mehr. Dann, fast unverhofft, bricht es aus ihm heraus: die Kirschbäume blühen, und bald sind es auch die Apfelbäume. Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, kann man sich doppelt freuen. Man kennt ihn und weiß, dass die da oben immer noch keinen Trick gefunden haben, eine Sondersteuer für den Frühling zu erheben. Und wer über 50 ist, zahlt nichts? Indirekt schon: die Öltanks müssen aufgefüllt werden. Man fährt wieder mehr Auto, gar mit offenem Verdeck. Da wird schon mehr Benzin verwendet. Auch die Strompreise werden angehoben. Man nennt das "anheben".

Kommen wir zur Lebenslust: die wird auch angehoben. Auf der Terrasse sitzen, mit Wein aus dem Dorf. Dessen Preis wurde nicht angehoben. Das macht Freude. Irgendwie ist man weniger empfindlich, was den Lärm aus dem Nachbargarten betrifft. Lebenslust also. Lärmsteuer? Auf diese Idee sind sie meines Wissens noch nicht gekommen. Wahrscheinlich gibt es in diesem Land zu viele Prozesshansel, die den Lärm von Traktoren, den nächtlichen Fluglärm und den motorbetriebenen Rasenmäher vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bringen würden. Die Lebenslust ist es also, auf die wir uns verlassen müssen: steuerfrei, irgendwie erschwinglich, ununterbrochen Glückshormone ausstrahlend. Wenn dann noch eine Fußballmeisterschaft dazu kommt (es können auch nur die Frauen sein, die besonders kommunikativ spielen), dann fehlt nur noch ein Maibock aus der Brauerei, um das Wohlgefühl voll zu machen.

Wir haben noch nicht über Lust als Libido gesprochen. Für viele ist das so etwas wie dasselbe. Dass die Säfte steigen, wissen wir von den Bäumen. Auch die kommen gerne ins Stadium der Blüte. Wie alt muss man jedoch sein, um die Fleischeslust noch in den normalen Lustbereich einzubeziehen? Waren nicht Picasso und Goethe die Fackelträger der Alterslibido? Sollte ich mich irren, bitte ich um Nachsicht. Andererseits kann auch mal ein begabter Maler oder ein dichterischer Olympier in seinem Grabe rotieren
ob der üblen Nachrede. Das schadet nicht. Die beiden haben ihr Leben genossen und bis ins hohe Alter Lust verspürt. Also bleibt gerade jetzt, wo alles sprießt, nur eine Frage offen: habe ich ein Lustobjekt? Es muss ja nicht ein Baum sein. Wie wäre es mit einer geliebten Person? Säuselnde Worte, zarte Umarmungen. Kein Wort über das Finanzamt. Warum nicht auch ab in die Kiste? Nichts davon ist steuerpflichtig. Auf jeden Frühling folgt ein zweiter Frühling. Vom ewigen Frühling können wir jedoch nur träumen. Irgendwann muss man wieder raus aus der Kiste.

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