Samstag, 16. Oktober 2010

Die Ulrich-Zasius-Bande schlägt wieder zu


Alles zu viel für mich...
Was wie ein harmloses Wochenende alter Freunde aus Studentenzeiten  begonnen hatte, endete diesmal auf unerklärliche Weise in einer Riesenschlägerei, bei der ein Hotel im Schwarzwald angezündet wurde, die gesamte Einrichtung  zu Bruch ging, einige Rechnungen nicht bezahlt, mehrere Krankenwagen beschädigt und die vom Hotelpersonal herbeigerufenen Polizisten mit Schlagstöcken angegriffen wurden. 


Ein Sprecher der örtlichen Polizeibehörde bezifferte den angerichteten Schaden auf mehrere Hunderttausend. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so etwas erlebt“, sagte Andreas Hugendubel der Presse.


„Eine Horde von Rentnern geriet sich nach einem Gelage in die schütteren Haare. Ein heftiger Wortwechsel zwischen 2 Männern, die sich offensichtlich vor 50 Jahren schon wegen derselben Frau gestritten hatten, führte zu einer Rempelei, die dann schnell eskalierte. Die Staatsanwaltschaft in Freiburg bestätigte inzwischen, dass die Ermittlungen über die Ursache dieser rätselhaften Schlägerei aufgenommen wurden. 



Alkohol scheint bei dieser „Begegnung“ randalierender Jubilare keine große Rolle gespielt zu haben, denn außer ein paar leeren Bierkrügen und etlichen Getränkebelegen wurden keine Anzeichen von Trunkenheit festgestellt. Wie konnte es zu einer solchen Auseinandersetzung angeblicher Freunde kommen, die bei den Vernehmungen alle aussagten, sie hätten sich vor einem halben Jahrhundert in einem Studentenheim in Freiburg kennen gelernt und sich am Wochenende vom 28. zum 30. Mai wieder einmal treffen wollen. 

Die Zeichen für ein solches Treffen standen gut: Cath hatte mir die neueste Ausgabe von Gala besorgt, nicht wegen des Artikels über Kelly Preston und John Travolta: „Kann das Baby sie trösten“? Auch nicht wegen Megan Fox und Brian Austin Green: „Eine Sex-Bombe, ganz zärtlich“. Nein, es war wegen des Aufmachers „Oh, Johnny“. Johnny Depp, der gefragteste Schauspieler der Welt, als Titelgeschichte. Cath weiß natürlich, dass ich seit Jahren in Johnny Depp verliebt bin. Alles an diesem Genie interessiert mich. Von Kelly Preston und Megan Fox hingegen hatte ich noch nie gehört, und ebenso gehört Gala nicht zu meiner gängigen Lektüre. Lediglich in Wartezimmern (des nicht ganz guten Geschmacks) findet man dieses unsägliche Gesellschaftsblatt, das einem auch in Frankreich und in England in einer jeweils anderen sprachlichen Fassung begegnet. Den Beitrag über Johnny Depp, der nicht einmal doof war, habe ich zunächst auf einen ruhigen Augenblick verschoben, mich aber sofort an das Horoskop gemacht, das für die Zeit unseres Treffens (Zwillinge, 21.5.-21.6.) bedeutende Vorhersagen machte: „Die Sonne steht in Ihrem Zeichen. Darum sind Sie superfit und prima gelaunt. Außerdem sind Sie für jede Unternehmung zu haben und lieber unterwegs als zu Hause......Singles lernen gern neue Menschen kennen. Sie gehen dabei eher nüchtern vor – lassen Sie doch ein paar Emotionen zu! Schließlich sind sie das Salz in der Suppe. In puncto Partnerschaft gibt es nichts, was die Harmonie zwischen Ihnen und Ihrem Schatz trüben könnte. Sagen Sie sich mal wieder bei einem Candle-Light-Dinner, wie lieb Sie beide sich haben. Im Büro erhalten Sie Lob. Zeigen Sie aber weiterhin den gewohnten Einsatz. KOSMISCHER TIPP: Sie dürfen und sollen aktiv sein. Übertreiben Sie nur nicht! Sonst ist der Akku bald leer“.  Nach diesem Zitat schienen die Vorhersagen für die Gestaltung unseres Treffens ausreichend  positiv. Die oben erwähnten Gewaltszenen wurden jedoch mit keinem Wort erwähnt. Horoskope sind keine große Hilfe. 
Nach diesen Abschweifungen muss geschildert werden, was an jenem Freitag Abend wirklich geschehen ist. Die Freunde der Lehener Straße trafen nach dem Salami-Prinzip nach und nach ein. Der eine musste dann erst pinkeln gehen, der andere bestellte erst mal ein Bier. Am Parkplatz wurde nach erkennbaren KfZ-Nummern geschaut: ach, HB ist schon da (Hansestadt Bremerhaven), FN wurde gesichtet (das sind die vom Bodensee) und RÜD stand sofort unter dem Verdacht, das Auto von Waltraud Digel zu sein. Im Innern des Hotels Himmelreich zu Himmelreich hatte sich schon ein Grüppchen gebildet, das scheinbar friedlich erste Schnupperexerzitien durchführte. Der frühe Abend läpperte sich so hin, bis der zuständige Ober (das war Max, wie sich etwas später herausstellte) Anweisungen gab, zum Abendessen anzutreten. Eine festliche Tafel war vorbereitet, an der folgende Zasiuspersönlichkeiten Platz nahmen: (der Chronist verwendet weder Titel noch altersbedingte Rangpositionen. Er verlässt sich nur auf sein brüchiges Gedächtnis und hofft, alle auf einen Schlag aufzählen zu können, ohne alphabetisch vorgehen zu müssen): 

Günter und Marianne Becker aus dem schönen Dortmund, wobei Marianne sich immer noch gerne zu ihrer pfälzischen Herkunft bekennt. Günters Pionierleistung an diesem Abend bestand darin, mit Wolfgang erst mal ein Viertel Rivaner zu teilen.

Pit und Marieluise Schwaibold, wobei Marieluise durch ihre herrliche Lockenpracht auffiel. Sie und Pit gehörten auch von Anfang an zu jenen, die vor einem vollen Glas Wein nicht zurückschreckten. Die Umbauarbeiten in ihrem Haus in Balingen scheinen abgeschlossen. Jetzt sollte dort der gemütliche Teil beginnen.

Christian und Christel Riefenstahl. Er verschanzte sich hinter einem riesigen Glas Bier, sodass nur sein schöner Haarschnitt auffällig darüber hinweg schimmerte. Christel hatte beschlossen, sich in die Nähe der anderen Mädchen zu setzen, Christian hatte sie ja während der ganzen Fahrt von Bremerhaven neben sich.

Winfried und Maria Hagenmaier, ein bekanntes Paar aus Freiburg, beide noch sehr aktiv, wandern, schreiben, lehren und so. Winfried ist der Autor eines Werkes über das Einhorn. Er soll im Studentenheim vor 50 Jahren einmal ein lebendes Einhorn gesichtet haben. Möglich aber, dass es sich hierbei um eine Verwechslung handelte.

Waltraud Digel, hat sie den Wagen mit der Nummer aus RÜD gefahren? Sie weiß wahrscheinlicch alles über die Pharmaindustrie und ist beängstigend fit. Auch spanisch spricht sie immer gerne.
Marianne Sick, das Lächeln kommt bei ihr von innen. Wahrscheinlich hätten wir viel mehr mit ihr wandern sollen. Fit wie ein Turnschuh, ohne es sich besonders anmerken zu lassen.
Heinrich und Angela West, beide in lebhafter Erinnerung als Starköche im UZH, Angela damals ein wenig gefürchtet wegen ihrer bei Studenten sonst nicht vorhandenen Kochkenntnisse. Cath findet, dass Heinrich wie Dr. Who aussieht, ein Serienheld der BBC, der mit Hilfe einer Telefonzelle in Minuten Raum und Zeit überwinden kann und vor allem von kleinen Mädchen bewundert wird.
Hermann Schneider und Christl Schneider Götz,  wo soll man da anfangen? Das herrliche Haus am Berg, irgendwo bei Salem (?????), die wunderliche Katze mit den hypnotischen Augen, das Elektrorad, mit dem Hermann die Bodenseegegend unsicher macht, der große Konsum von Mineralwasser, der Hermannen nicht so richtig glücklich aussehen lässt, die malende, singende und übertalentierte Christl, die auch noch in einem Gospelchor singt. 
Ede Ohlendorf, überraschend tauchte er auf. Sein schlohweißes Haupthaar und der gepflegte Bart strahlten in der Runde wie ein Leuchtfeuer in der Nacht. (Verzeih‘ mir, Ede, aber manchmal haue ich voll daneben).
Klaus Bosecker aus Hannover, der Glückspilz von der Leine. Ich glaube, er hat auch relativ wenig Wasser getrunken. Dazu hatte er allen Grund: die Bardin Lena (19) kam an diesem Wochenende (Klaus war nicht zuhause) aus Oslo zurück, wo sie nach 28 Jahren den Eurovisions Song Contest bravourös gewann. Klaus, das hätten wir Dir nie zugetraut. Wir kommen nächstes Jahr alle zu Dir, um an der Austragung des Wettbewerbs für 2011 teilzunehmen.
Wolfgang Rössle und Cathie Burton, ein Kinderspiel, aus Oberkirch anzureisen. Allerdings hatte Cath noch berufliche Verpflichtungen in Straßburg und Wolfgang am Vortag gerade noch ein Reh überfahren, was ihn furchtbar schockierte. Außerdem wurde sein Weinkonsum von der liebenden Gattin dahingehend überwacht, dass er, impulsiv, wie er manchmal sein kann, über einige Achtel nicht hinauskam. Seine Gesundheit wird es ihm gelegentlich danken.
Bevor wir das scheinbar immer noch friedliche Abendessen weiter kommentieren, müssen einige Abwesende erwähnt werden, die es nicht schafften, nach Himmelreich zu kommen: Wim van Reijn. Er hatte lange vor diesem Termin mit seiner Frau schon eine Frankreichreise geplant. Bing So aus New York: er war mit May zu einer Hochzeit im Westen der USA verabredet. Kirsti Klemmt, unser Sonnenschein aus Finnland: sie war gerade aus dem Krankenhaus zurück (es geht ihr gut) und kriegte die Kurve dann doch nicht mehr. Dr. Kennosuke Ezawa schaffte es aus Berlin auch nicht. Wäre aber gerne gekommen. Ernesto war aus anderem Anlass kurz vor unserem Treffen in Freiburg und konnte den Trip bei bestem Willen nicht noch einmal machen. Wer die Anomalien heutiger Flugreisen kennt (und wer tut das nicht?), der versteht diesen Umstand. Tomo konnte nicht, Rolf Klemmt konnte nicht, Christian Nakonz konnte nicht. Eivind Solem hatte sich noch kurz vor dem Treffen nach Übernachtungsmöglichkeiten erkundigt. Es ist zu vermuten, dass es dann doch irgendwie nicht klappte. Ein Persönchen, das gerne dabei gewesen wäre, ist Wolfgangs Tochter Maus. Sie hatte die ersten Treffen, noch als Kind, in so guter Erinnerung, dass sie immer wieder einmal kommen wollte. Für die „damaligen“ Kinder der Zasiusler waren die Begegnungen zwar immer zu kurz, aber ein großes Erlebnis. Sollten wir sie wieder einmal mitbringen? Wegen beruflicher Überlastung des Nachwuchses wird es wohl nie gelingen, sie alle wieder zusammenzubringen, aber diese Hoffnung sollte man nicht aufgeben.
Das Essen: es gab Spargel, Ferkel, Pfannekuchen, Salat und vieles andere. Die Restaurant- und Hotelführung hatte uns Max zugeteilt, der mit wenigen treffenden Worten die Sache meisterte und die Gäste des Nebenzimmers zur vollsten Zufriedenheit bediente. Sein Humor wurde von allen sehr geschätzt. Ich bin sicher, Max hätte viel lieber große Flaschen Wein angeschleppt, statt ganze Batterien von Mineralwasser. Die Zeiten ändern sich, und wir mit ihnen. Gar bald zogen sich die ersten zurück, um die verdiente Nachtruhe anzupeilen. Irgendwann kam dann auch Max und sagte, das Restaurant würde schließen.  Das tat es dann auch, und wir waren es zufrieden. Die tätlichen Auseinandersetzungen, die zum Polizeieinsatz führten, wurden auf den Samstagabend verschoben. Friedlich ging der Freitag zu Ende. 
Samstag war der Tag der Krise: nach einem harmonischen Frühstück trafen wir uns am gegenüber liegenden Bahnhof von Himmelreich, um gemeinsam nach Freiburg zu fahren. Regenschirme und Rucksäcke bestimmten das Bild, obwohl es auch Teilnehmer gab, die gepäckfrei das Augustinermuseum besuchen und den malerischen Wochenmarkt um das Münster herum wiedersehen wollten. Auch war eine Visite im Münster geplant. Kurz vor der Abreise des Zuges tauchte Lucile auf. Sie hatte schon eine lange Reise hinter sich und kam gerade an, als wir in den Zug stiegen. Also kam Lucile mit. Rüdiger  konnte wegen anderer Termine nicht kommen. Wir freuten uns über Lucile und verschwanden im Zug. Dieser hielt dann in Kirchzarten, also der ersten Haltestelle. Aussteigen, auf einen Bus warten, der nach Freiburg fuhr. Eine Oberleitung war gebrochen und musste repariert werden. Ein bisschen chaotisch war das schon. Viele Menschen drängelten sich. Schließlich waren alle auf verschiedene Busse verteilt, und das Sammeln unseres kleinen Haufens an Freiburgs Bahnhof war langwierig und führte zu einer langgezogenen Karawane in Richtung Münster. Dort verloren sich die Spuren. Selbständigkeit führte dazu, dass kleine Grüppchen und Paare ihren eigenen Weg gingen, wussten sie doch, dass alle sich wieder in Himmelreich einfinden würden. Inzwischen waren einige Textilien bei Breuninger und etwas Schokolade und Senf (Wolfgang konnte es nicht lassen) bei Migros eingekauft, und Lucile drohte damit, wegen eines Termins um 16 Uhr bald einen Zug nach Seebuck nehmen zu müssen. Sehnsüchtig schauten Cath und ich Lucile hinterher, als sie von uns wegging. Andere konnten sie nicht einmal sehen. Eine Verquickung unglücklicher Umstände.
Der Samstag Abend war dann wieder ganz dem Abendessen in unserem Nebenzimmer mit den trachtengeschmückten Holztafeln gewidmet. Max war wieder da. Ich glaube, es wurde ein wenig mehr Wein als am Vorabend getrunken. Ede war nicht mehr da. Auch Maria und Angela waren zu müde um teilzunehmen. Der harte Kern jedoch wollte den Abend nochmal genießen. Geballte 1260 Jahre saßen zusammen und unterhielten sich. Errechnet habe ich die Jahre (man möge es mir verzeihen), indem ich 18 mal 70 nahm. Es wäre unendlich ungenauer geworden, hätte ich das individuelle Gewicht zusammengezählt und dabei wahrscheinlich die volle Tonne nicht geschafft. So haben wir alle gefühlt, dass wir noch leben. Freude und Dankbarkeit war da. Auch ein liebendes Gedenken an die, die nicht mehr kommen werden. Der Sonntag war ein einziges Abschiedstreffen. Langsam ging man auseinander. Ein wenig Trauer spielte mit. Die Zufriedenheit kam nicht  aus Oslo, wo Lena gewann, oder vom gewonnenen Fussballspiel Deutschland gegen Ungarn. Sie kam von innen. Und die Zeichen stehen gut: Vitali Klitschko konnte an diesem Wochenende seinen Weltmeistertitel in Schwergewicht behalten (zum sechsten Mal), und das Hochwasser an der Oder weicht zurück.  Der Gedanke, vielleicht im kommenden Jahr wieder ein solches Treffen zu versuchen, schwebt im Raum. Stockwerkstreffen light, vielleicht für die, denen der Weg nicht zu weit ist. Vielleicht erst in zwei Jahren. Frau Stuzmann vom Hotel Himmelreich wird uns sicher wieder aufnehmen. Die Verwüstungen, von denen eingangs die Rede war, hielten sich in Grenzen. Danke, Frau Stuzmann, und Danke Ihren lieben und zuverlässigen KollegInnen. Wir melden uns wieder. Zu gegebener Zeit.                                                                                                           Wolfgang Rössle      

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