Donnerstag, 7. Juni 2018

New one: mein lieber schwuler Freund

Er lebt noch, und ich bin froh darüber. Ob er im Leben glücklich geworden ist, weiß ich nicht. Es wäre schön. Sein Lächeln konnte sibyllinisch sein. Die Göttin der unaufgeforderten Voraussage, Sibylle, hinterließ ihm dieses Lächeln, das ich von Anfang an nicht ganz zu deuten verstand. Als ich mit Studentenfreunden einen vierten Wohngenossen für eine bäuerliche Wohnung auf dem Land suchte, tauchte er auf. Als Freund eines der drei anderen Freunde, der auch im Medizinstudium war. Gerne wurde er willkommen geheißen, denn er besaß zu allem auch noch ein Auto. Das machte die wenigen Kilometer zur Uni für uns alle etwas komfortabler. Radfahren war nicht so mein Ding.

Das schönste von allen? 
Die Jahre vergingen. Es wurde geheiratet: Jeder von uns fand eine geliebte Frau. Der Indonesier - ein wahrer Schatz - fand in Hamburg eine wunderhübsche Landsmännin (sic!). Sie leben jetzt in den USA. Kinder und Kindeskinder inbegriffen. Der Franzose verliebte sich heftig und für immer in seine deutsche Arzttochter, die ihm nach Paris folgte. Unser lächelnder Freund heiratete eine süße Indonesierin, die zuhause von ihrem Vater mißbraucht worden war und beschlossen hatte, nie mehr in ihre Heimat zu gehen. Zwei Gründe mag er gehabt haben: als frisch gebackener Arzt für sie eine solide Basis zu schaffen, und gleichzeitig selbst vom Ruch des Gleichgeschlechtlichen loszukommen.

Der Ruch des Gleichgeschlechtlichen 
Bei einem Besuch in Berlin erfuhr ich zweierlei: die Ehe war geschieden, freundschaftlich, und der  Freund mit dem geheimnisvollen Lächeln lud mich in eine Bar ein, in der sich zu meinem Staunen am Tresen ein Männerpaar schüchtern küsste. Mein Freund lächelte und sagte mir: so bin ich auch. Dann, endlich, hatte ich verstanden. Mein Verhältnis zu ihm wurde dadurch jedoch nicht berührt. Wir hatten nie darüber gesprochen, doch war ich froh, dass er so offen war.

Gleichgeschlechtlicher Ruch??? 
Heute ist er ein Internetgenosse, von dem ich gelegentlich etwas erfahre. Viel ist es nicht, doch unsere Freundschaft ist darüber nicht gestorben. Allein, wir sehen uns nicht mehr, denn es fehlt die Motivation. Freuen würde es mich dennoch, denn ein Leben ist mehr als eine Episode. Irgendwann ist es vorbei. Unter den Fragen, die für mich offen bleiben: Warum bin ich nicht mehr Teil deines Lebens? Oder bin ich es noch? Deine geliebte Ex schrieb mir damals einen Brief, den du lesen hättest können. Er war so voll Hochachtung, Bewunderung und menschlicher Nähe. Sie heiratete dann wieder und ist hoffentlich glücklich.

Alte Freunde? Nie und nimmer!
Mir fehlen manche alten Freunde, mit denen ich viel teilte. Was wir nicht mehr schaffen ist, die losen Enden zusammenzuknüpfen und für Momente so glücklich zu sein, wie wir es bewusst nie waren. Wir haben gegeben und genommen und doch keine Schuld(en) hinterlassen. Uns keine Schrecklichkeiten zugemutet. Natürlich weiß ich, dass schon unser Anblick nach 50 Jahren so etwas wie eine Zumutung bedeuten kann. Ist es wirklich so grauenhaft? Und: So, what?




  

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