Dienstag, 15. August 2017

Der Nachbar als Mörder?

Ich habe es erlebt. Vor vielen Jahren, ich war 18 und bereitete mich auf das Abitur vor. Die Stadt spielt keine Rolle. Meine Eltern wohnten etwa 100km entfernt und warteten auf eine Wohnung. Ich wollte nicht warten, wegen des bevorstehenden Abiturs. Also zog ich provisorisch in eine Dachkammer ein, mit herrlichem Blick über die Stadt.  Die Mansarde gehörte einer Dame, die im Erdgeschoss wohnte und mit meiner Tante bekannt war. Das Haus mit den 6 Etagen war eigentlich ein wohlsituiertes Bürgerhaus. Wohnungsnot gab es damals überall noch.


Mein Zimmer war bescheiden, aber ausreichend: Tisch, Stuhl, Bett, Papierkorb. Hinter einer Tür, nebenan, hörte ich Geräusche. Gleich nach der ersten Nacht klopfte es an meiner Tür. Eine nicht sehr schöne Frau im Nachthemd, das gefährlich offen stand, fragte mich ob ich ihr meinen Hausschlüssel  leihen könne, sie wolle ihn auf die Straße werfen, um einen Bekannten damit ins Haus zu lassen. Der unsichtbare Mann kam in den 6. Stock, der Schlüssel zurück und das Baby dieser Nachbardame, von dem ich nichts wusste, fing an zu schreien. Dann hörte ich das Bängbäng im Nebenzimmer. Es hörte sich an, als ob der Kopf des Kindes gegen die Wand gestoßen würde. Ich klopfte, so stark ich konnte, an die Wand. Dann wurde es still.

Meine jugendliche Empörung führte mich am nächsten Tag zur Polizei. Ich hatte das Schlimmste befürchtet. Zwei Tage später tauchten 2 Polizeibeamte in meiner Schule an der Klassentür auf. Sie blickten bedenklich und sagten, ich müsse nicht vor Gericht aussagen, wenn ich nicht wolle, denn beschuldigte Nachbar sei als sehr gewalttätig bekannt. Trotz meiner Abisorgen bestand ich dennoch darauf, auszusagen.


Am Abend ging ich ins Kino. Spätvorführung um 23 Uhr. Plötzlich höre ich hinter mir ein lautes Wispern. "Er sitzt vor uns", sagte mein Dachkammernachbar zu seiner Gefährtin. Erschrocken drehte ich mich in Richtung Kinoleinwand. Kurz bevor der Film zuende war, verließ ich im Schutz der Dunkelheit das Kino und rannte nach Hause, verschloss meine Mansardentür und stellte mich tot. Als die Nachbarn viel später mit etwas Lärm und wohl auch angetrunken das Nachbarzimmer betraten, fing das Kind wieder an zu weinen. Ich brauchte lange bis ich einschlafen konnte.

Am andern Morgen war alles geräuschlos. Ich ging zur Schule. Der Unterricht hatte gerade begonnen, als zwei Polizisten zusammen mit meinem Klassenlehrer erschienen. "Ihre Zeugenaussage ist nicht mehr nötig. Wir haben ihren Nachbarn verhaftet. Er soll in einem Park auf einer Bank einen alten Mann erschlagen und ausgeraubt haben". Ein Zeuge hatte ihn identifiziert. Ohne es zu ahnen, hatte ich Wand an Wand mit einem Mörder gelebt. Ich konnte dann wieder zu meinen Eltern ziehen. Der Albtraum war vorbei. Der Mörder hat 4 Jahre Haft bekommen. 

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