Samstag, 29. April 2017

Das Leben improvisiert ganz heftig.

Gestern streiften wir durch Ilkley. Das liegt in Yorkshire und gilt als feines Städtchen mit Zugang zum Moor. Idealer Ausgangspunkt für Wanderungen. Geschlechtsüberschreitungen werden jetzt fast täglich im Radio erwähnt, mit Neugier besprochen, alle scheinen sich dafür zu interessieren, aber gesehen hat man noch selten jemand. Meist geht der Mensch entweder als Mann oder als Frau gekleidet auf die Straße.


Da, plötzlich, mitten im Zentrum, ich glaube ich sehe nicht richtig: Ein langes dünnes Wesen, bei etwa 10°C und starkem Wind, mit einer Art weißer Bluse mit großem Ausschnitt, kurzes Röckchen mit nackten Beinen. Dann schaute ich nicht mehr hin, denn die Achtung vor anderen verbietet blödes Hinstarren. Mann oder Frau? Cath sagte, dass man hierfür keine eindeutige Sprachregelung habe, was sehr bedauerlich ist. Nur, weil jemand das übliche Schema Mann/Frau vermeidet, und dafür wohl zwingende Gründe hat, sollte man sich nicht das Recht nehmen, zu urteilen. Allerdings hätte ich mir die Bemerkung zugetraut, wenn ich diesem Menschen nocheinmal begegnet wäre, in väterlicher Manier auf die Erkältungsgefahr hinzuweisen.

Kälte ist sichtbar! 
Dann dachte ich, dass das Leben selbst Lust zum Improvisieren hat, wenn auch nicht immer in akzeptabler Weise, was viele recht unglücklich machen kann. Alle, bei denen offensichtlich "alles in Ordnung" ist, sind eigentlich permanent gefragt, statt Witze zu machen, den Ernst des Gegenübers zu sehen. Nur, kann man den Glöckner von Notre Dame getrost den buckligen Glöckner sein lassen, weil er eine literarische Figur ist?  Das Vorbild für ihn muss der Realität des Lebens entsprungen sein.

Unser Freund und Nachbar Hans-Georg 
 Wir leben in einer Zeit der Enttabuisierung. Das Internet zeigte gerade einen 19jährigen jungen Mann, mit nacktem  Bauch, hochschwanger, ein Mädchen erwartend, was schon nichts mehr Neues ist. Das Neue daran: der "Teenager" lebt in Island. Das Internet zeigt einen amerikanischen Präsidenten mit sanfter, angenehmer Stimme, der nicht zögern wird, das wildgewordene Nordkorea anzugreifen. Als Kind staunte ich nicht schlecht, der Welt dickste Frau, auf drei Stühlen sitzend, in einem Zirkus zu besichtigen. Sie schlang um ihren Oberschenkel einen Gürtel, der auf das letzte Loch eingestellt war. Ein Zuschauer durfte auf die Bühne gehen, um das zu überprüfen.

Dickste Frau der Welt? 
Es ist also kinderleicht, die ungewöhnlichsten Lebewesen zu entdecken, denn die Natur liebt die Improvisation. Der betroffene Mensch liebt es in der Regel nicht. Deshalb schon, sollte das nicht aus dem Rahmen fallende Lebewesen Mitgefühl zeigen. Die Abnormität wie etwas Selbstverständliches zu behandeln, wäre dann der nächste Schritt, der uns zum Mitmenschen macht. Das "Wesen" in Ilkley sah nicht sehr glücklich aus. Es lief einsam durch die Fussgängerzone, vielleicht wollte er/sie/es angesprochen werden. um Mitgefühl, oder gar Sympathie zu erleben. Ist das so schwer?







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