Mittwoch, 31. August 2016

Vermintes Feld: die Frauen meines Lebens

Ich habe nie behauptet, dass ich mit diesem Thema je zuende kommen würde. Den Anfang mache ich problemlos. Kann ein Junge mit 5 Jahren schon wissen was er tut? Sie war auch fünf, behaupte ich jetzt mal frech. Wir haben nicht übers Alter gesprochen. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, etwas gesagt zu haben. Sie kam einfach auf mich zu und küsste mich auf den Mund. Weich, zart und feucht war ihr Kuss. Die Nonnen im Kindergarten scheinen nichts bemerkt zu haben. Dann starb sie, und ich begleitete ihren kleinen weißen Sarg und weinte. Ihre Eltern, neben denen ich herlief ließen es geschehen. Gehört es zu den Rohheiten der Männer, dass sie sich nicht an den Namen der ersten Geliebten erinnern?

Und ewig lockt das Weib 
Wenig Zeit verging, als ich mich in Rosele verliebte. Diese Liebe fand im Wesentlichen unter den Tischen eines Gartenlokales statt, in der Nähe eines Flughafens. Sie dauerte nur einen Nachmittag. Dann wurden wir brutal auseinandergerissen. Wir sahen uns nie wieder. Aber es war so etwas wie Liebe. Oder nicht? Meine dritte Frau war - gerade fällt mir der Name nicht ein. Ich muss Geduld aufbringen und auf die Rückkehr ihres schönen Namens warten. An mein Alter erinnere ich mich. Ich war sechs und gerade in die Schule gekommen. Sie war unendlich schüchtern und redete nicht mit mir. Ihre Mama muss es ihr verboten haben. Ich weiß noch, dass sie evangelisch war und ich eher zur katholischen Seite neigte. Sehr schnell verschwand sie aus meinem Gesichtskreis.*

Muss ich jetzt alles aufzählen?  Es gab einige Frauen, die ich auch heute noch verehren würde, wenn ich wüsste, wo sie gelandet sind und ob sie noch leben. Fräulein Dahl war so eine. Heute wäre sie schätzungsweise 110 Jahre alt. Als sie meine Englischlehrerin wurde, wusste ich, dass ein neues Zeitalter angebrochen war. Wie gerne hätte ich mich 20 Jahre älter gewünscht. Sie war hübsch, ungebunden, hatte ein immer freundliches Lächeln auf, und ihr Englisch war taufrisch. Ich lernte mit Eifer und wurde auch zum Klassensprecher ernannt, was mir das Privileg auferlegte, eine Klassenkasse zu gründen, Gelder einzutreiben, und eine Klassenfahrt mit dem Bus vorzubereiten. Zwölf Jahre war ich alt, und Fräulein Dahl spielte gerne mit ihren silbernen Armreifen, am Pult sitzend. Das musste einmal schiefgehen. Fräulein Dahl vergass, ihre Reifen in die Pause mitzunehmen. Ich nahm die Armringe an mich und bot ihr beim nächsten Erscheinen ihren Schmuck an, natürlich gegen eine Gebühr für die Klassenkasse. Das Wort Erpressung kannte ich damals noch nicht. Meisterhaft schaffte sie es, ihre Silberreifen entgegen zu nehmen, mir den Obulus für die Busfahrt zu überreichen und auch noch ein dankbares, leicht schuldbewusstes Lächeln aufzusetzen. In diesem Augenblick hätte ich sie auf der Stelle geheiratet.


Fräulein Dahl? Pustekuchen! 

Als ich 11 war, muss ich mich schon sehr erwachsen gefühlt haben. Fräulein Dahl (sie trat etwas später in mein Leben) war natürlich nicht mein einziger Schwarm. Da war noch Karin von Davidsohn. Sie kam von irgendwo her in meine Klasse, sprach ein lupenreines Hochdeutsch. Ich verliebte mich sofort in sie, doch ihre grenzenlose Schüchternheit war der meinen ebenbürtig, und sie unternahm nichts, uns einander näher zu bringen. Sie hatte dunkelbraunes glattes Haar und konnte - wenn sie wollte - hinreißend lächeln, was aber so gut wie nie vorkam. Zu Berührungen kam es auch nie. Sie ist für immer verschollen.

Ein kleines Wesen mit blonden Zöpfen hätte ich fast vergessen, obwohl sie unvergesslich war. In meinen inneren Annalen hieß sie bis heute Doris Eisele, Apothekertöchterlein, nicht weit weg von meinem Realgymnasium in Karlsruhe-Durlach. Sie war wirklich sehr klein. Wenn meine Oma mir ein Rezept in die Hand drückte und mir auftrug, nach der Schule in die Einhorn-Apotheke zu gehen, wo Oma mit einer Angestellten bekannt war (jetzt kommt die Erinnerung: Frau Stiegele), freute ich mich den ganzen Morgen schon darauf. Ich sollte Frau Stiegele grüßen und das Medikament abholen.
Bei meiner frühmorgendlichen Googeltätigkeit machte ich gerade seltsame Entdeckungen. Doris hieß Dorle, ihr Vater hieß Eisinger. Also hatten sich jahrzehntelang in mein Gedächtnis falsche Namen eingegraben. Wenn ich durch den Einhorn-Eingang trat, stand das süße Dorle hinter dem Tresen, neben ihrem Vater oder neben Frau Stiegele. Man sah sie kaum, weil die Verkaufstheke zu hoch war. Aber ihre großen runden Augen blitzten hervor und sprachen Bände. Sie erkannte mich, sagte aber kein Wort. Für mich war der Tag gerettet. Dieser Augenkontakt blieb unser Geheimnis. Genau, wie die ergoogelte Geschichte der Apotheke, die eine der ältesten Deutschlands war und 2005 aufgelöst wurde.


Gedächtnislücken? 

Die Reihe meiner Gespielinnen würde ich gerne fortsetzen, zumal der häufige Schulwechsel mich in immer neue Gefilde entführte und ich mich immer neu verlieben musste. Doch zunächst muss ich eine Selbsthilfegruppe für Gedächtnisgeschädigte aufsuchen, denn die Namen von geliebten Wesen sollten eigentlich wie Feuer im Oberstübchen brennen und für immer erhalten bleiben.

*Hurra, sie hieß Sonja. Wie konnte ich das vergessen?


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