Dienstag, 19. Dezember 2017

Ein Haarschnitt wie jeder andere.

Mein Opa hatte einen Friseur, der zu ihm nach Hause kam, seine Haare schnitt, den Bart trimmte und die neuesten Geschichten über den Gang der Welt und unserer Stadt erzählte. Sein Beruf, seine Jahre und sein Herumkommen in den verschiedenen Familien und Häusern hatte aus seinem Gesicht so etwas wie die Summe aus allem gemacht. Humor kannte er nicht. Nur trockenes Kommentieren der Schlechtheit der Welt. Warum Opa diesen versäuerten Figaro immer auf mich losließ, wenn ich bei den geliebten Großeltern in Ferien war, verstehe ich noch heute nicht.


Der Friseur tat seine Pflicht, wie andere das Schlachten von Haustieren unternahmen, lustlos und mit einem Fluch auf den Lippen. Nicht weit von unserem Elternhaus gab es einen jungen Friseur, der meine Angst sofort auffing, indem er mir sagte, sein Vorname sei auch Wolfgang. Damit war ich gewonnen. Er hatte auch bemerkt, dass sich auf meinem Köpfchen fünf verschiedene Haarwirbel tummelten,  die ich bis heute nicht losgeworden bin. Er bemühte sich, diese Wirbel beim Haarschnitt so unsichtbar wie möglich werden zu lassen.

Ein Fünfwirbler 
Dann wurde ich erwachsen. Meine ersten Semester verbrachte ich in Heidelberg, wo ein älterer Herr für Studenten einen Sonderpreis von 80 Pfennigen machte. Die Art, wie er mit der Schere von oben auf den Kopf zustieß, machte Angst. Er hätte ums Haar die Kopfhaut verletzen können. Man sah die Gefahr im Spiegel. Das scheinbar wütende Niedersäbeln mit der Schere. Man ging nur zu ihm, wenn man nicht mehr als 80 Pfennige in der Tasche hatte.

Keine Wirbel? 
Dann kam das richtige Leben mit Ortswechseln und der entsprechenden Suche nach einem passenden Haarschnitt. Um es kurz zu machen: Mein Aufenthalt in Paris, fast 2 Jahre, führte dazu, dass ich dort nie zum Friseur ging. Ich fand immer eine andere Lösung. Zur Not ließ ich das Haar wachsen, bis man eindeutige Bemerkungen machte. Nur in Zypern, wo ich auf der türkischen Seite 2 Jahre verbrachte, wurde ich friseurmäßig glücklich. Der junge Haarschneider feierte jeden Haargast wie einen persönlichen Triumpf. Er schnitt bei laufendem Fernseher und offener Tür, sodass er sich beim Schneiden mit vorbeigehenden Bekannten auf der Straße unterhalten konnte. Was ich besonders liebte, war sein Abflämmen der feinen Härchen am Ohr mit einer brennenden Kerze, was garnicht wehtat.

Haarschnitt bei Industry 
Drei Jahre Wien überspringe ich. Nur Cath hat daran gute Erinnerungen, was sie bei einem neuerlichen Kurzbesuch wieder in den Salon beim Dom führte. Doch die beiden letzten Jahre wurden in Yorkshire verbracht. Dort, in Haworth, gibt es einen unscheinbaren Laden, der sich Industry nennt. Meine angeborene Abneigung gegen den professionellen Haarschnitt hörte bei Industry auf: Drei (noch) junge Männer in äußerst einfacher Umgebung, nehmen den Kunden ernst. Sie bemühen sich, ihre handwerkliche Kunst voll zum Einsatz zu bringen, indem sie dich über Gott und die Welt unterhalten. Nur ein glücklicher Kunde ist ein guter Kunde. Doch glücklich als Haarkunde bin ich, weil Cath in der allergrößten Not die Schere selbst in die Hand zu nehmen weiß.








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