Mittwoch, 5. Juli 2017

Der Kuss, jedoch nicht von Rodin, sondern von Breschnev




Ich würde ein Vermögen geben, um zu erfahren, was eine Küsserin so denkt oder empfindet, wenn sie so richtig in einen Kuss verstrickt ist. „Deine Lippen, die küssen so heiß“ heißt es in einem Schlager aus grauer Vorzeit. Abgesehen davon, dass mir noch kein kalter Kuss untergekommen ist, höchstens ein lauwarmer oder ein halbherziger Unkuss, gibt der Schlager kaum Aufschluss darüber, ob es der Mann oder die Frau ist, deren Lippen so heiß daherkommen.


Bei Auguste Rodin, dem begnadeten Bildhauer, dessen Kuss sowohl in seinem Museum in Paris als auch in der Tate Galerie in London und als maßgerechte Nachbildung steht, wurde alles in den Kuss gelegt, eine marmorne Investition in weiß, die erschauern lässt. Trotz kaltem Marmor erscheint mir dieser Kuss eher heiß. Der Anfang von etwas, das Fortbestand haben möchte. Anders ist es beim Todeskuss, der  beendet, was dann vorbei ist.

Der leichtfertige Umgang mit dem Küssen hat schon manches Unglück ausgelöst, aber auch Glück bereitet. Im Kindergarten erhielt ich meinen ersten Kuss. Sie war auch um die fünf. Es war ihre Initiative: nicht heiß oder leidenschaftlich, sondern zart und feucht. Dann starb sie kurze Zeit danach. Ich durfte hinter ihrem kleinen weißen Sarg als trauernder Hinterbliebener neben den erschütterten Eltern mitgehen. Dieser Kuss hat mir irgendwie den Weg ins Leben gewiesen.

Etwas Abneigung empfinde ich für das Küsschen-hier-und-Küsschen-da-Getue, das nicht sein muss, weil es halbherzig und unaufrichtig ist. Der Kuss ist normalerweise ein Geschenk, nicht eine Leihgabe. Deshalb bin ich auch bereit, den Liebeskuss zwischen zwei Männern oder Frauen voll anzuerkennen. Auch den Versöhnungskuss zwischen Geschwistern, die sich gezankt hatten. Auch Tiere können eine Ader fürs Küssen haben. Wenn die Liebe gegenseitig ist, weiß auch mancher Hund und manches Pferd einen Kuss zu schätzen. Das Internet hilft dabei, dies zu verstehen.


Lasst das! 
Fast schämt man sich ein wenig, einem der berühmtesten Küsse des Weltgeschehens ins Auge zu schauen. Ich glaube immer noch nicht, dass es sich hier um eine Liebesbeziehung gehandelt haben könnte. Doch, was war es dann? Politerotik? Der Kuss, der eine Trinkorgie besiegelte? Unzeitgemäße Homoerotik vom besten? Oder einfach zwei saugende Münder, die sich über ihre Botschaft für die Welt nicht ganz im klaren waren? Eine Art „Donald Trump und Nigel Farage im Lippleck? Brrrrrr. Das Politpärchen bestand aus zwei älteren Herren. Der eine, Generalsekretär der Sowjetunion, Leonid Breschnev, der andere, Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR. 



Es ist schwer, den sozialistischen Bruderkuss richtig einzuordnen. Gestandene Männer, meist der östlichen Art, zeigen sich damit ihre Freundschaft. Auch Völkerverständigung ist dabei herauszulesen. Etwas öffentlich machen, was sonst nur in verbalen Hülsen daherschwächelt. Erich und Leo sind Sinnbilder für den männlichen Oralkontakt geworden, der, frei von Erotik (?), in Tausend Variationen immer wieder um die Welt geht. Warum tut man das? Jetzt habe ich die Antwort: Die beiden haben sich einfach eine Auszeit genommen. Vor laufenden Kameras. Es lebe die Freiheit! Frauen haben damit nichts zu tun.


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