Dienstag, 17. Januar 2012

Orgasmus, oh, Hildegard!



Die heilige Hildegard von Bingen, auch "die Rupertsberger Äbtissin", eine erstaunliche Frau, die von 1098 bis 1179 lebte und über vieles nachdachte und vieles schrieb, das heute noch massenhaft Forscher beschäftigt. Sie hat die Hildegardischen Lebensregeln verfasst, der Nachwelt ein Rezept für Dinkelsuppe hinterlassen und eine besondere Art des Aderlasses erfunden. Ein echtes Vorbild ihrer Zeit. Manche behaupten, Hildegard sei die erste deutsche Ärztin gewesen, wobei es damals noch kein Medizinstudium gab. Doch hat sie eigene Ansichten über die Entstehung von Krankheiten, Körperlichkeit und sogar Sexualität geäußert.

Da fängt man gerne an, mit gehobener Augenbraue die Frage zu stellen, was denn diese fromme Dame zu den erotischen Untiefen der menschlichen Existenz zu sagen hatte. Die Zeit war, wie so oft, geprägt von allerhand Neuentwicklungen, und die menschliche Neugier damals schon auf allen Gebieten tätig. Der Glaube an die Autorität hatte Kirche und Potentaten als hierarchische Anlaufstellen längst ausgemacht. Hildegard war eine herausragende Gestalt, die auf allen Gebieten Autorität ausstrahlte.

Allerdings fragt man sich, was diese fromme Frau dazu getrieben hat, etwas zu entdecken, das der Intimität des Paares bzw. der Paarung vorbehalten war. Sie hätte in ihrem Tun durchaus auf die Schilderung des Höhepunktes sexueller Handlungen verzichten können, wie das asketische Vorbilder vor ihr getan hatten. Wahrscheinlich hatten sich jedoch auch schon die Medizin, die Wissenschaft als solche und gar die Theologie dieses Sektors angenommen und diesen allzu stümperhaft abgehandelt. Das wollte Hildegard nicht so stehen lassen. Viel zu viele Frauen müssen auch damals schon total frustriert gewesen sein, weil sie nie zum Höhepunkt kommen konnten. Also hat die heilige Frau darüber nachgedacht, vielleicht sogar selbst einen solchen herbeigeführt. Im Interesse von Wissenschaft und Forschung sollte fast alles erlaubt sein. Ihre Neugier muss sie dazu gebracht haben, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Wir wollen es auch religiös sehen: ein Orgasmus (manche verwechseln das mit gutem Essen) ist ein Hochpunkt des Glückes. Bei den Franzosen nannte man das schon immer "la petite mort", den kleinen Tod, weil man dabei vollkommen abschaltet, ohne sich anschließend zu erinnern, ob man überhaupt an etwas gedacht hat. Gut, ich habe auch keine Ahnung, wie eine Frau diesen kleinen Tod erlebt. Wie ein Franzose verklärt gucken kann, wenn er einen vollreifen Camembert vor sich stehen hat, kann ich jedoch lebhaft nachvollziehen. Beim O. geht es mir genauso, und meine Dankbarkeit (ja, es ist so etwas wie Dankbarkeit) macht mich glücklich und lässt mich das Leben mit neuen Augen betrachten.




Wenn er vorgetäuscht wird, ist Lüge im Spiel. Oder Scham. Oder beides. Wenn dann noch geschauspielert wird (du bist der Größte! Ich will nur dich!), dann ist es Zeit, neu darüber nachzudenken. "Wisse die Wege des Herrn" (Liber Scivias Domini) meinte Hilde, eine wahrhaft mutige Frau. Wie schön, wenn sie uns verraten hätte, wie sie ihren Orgasmus wirklich entdeckt hat. Wer dazu mehr wissen muss, lese das Buch von Elisa Brune und Yves Feroul, "Das Geheimnis der Frauen" (alles über den weiblichen Orgasmus). Allerdings muss man sich ehrlicherweise durch 415 Seiten der im Mosaik Verlag erschienenen Studie hindurcharbeiten. Ob man dann noch Lust hat, einen echten Höhepunkt zu erleben, bezweifle ich schärfstens.

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