Mittwoch, 11. Januar 2012

Indien - was wissen wir? So gut wie nichts!


Das war auch bei Kolumbus so, denn sonst hätte er auf dem Seeweg nach Indien nicht zunächst in Irland halt gemacht, um dann weiter westwärts auf seltsame Menschen zu stoßen, die man heute noch Indianer nennt, von denen die meisten von europäischen Eroberern ausgerottet wurden. "Kreuz und quer durch Indien" dagegen, hieß das Reiseabenteuer, das ich als Kind verschlang. Geheimnisvoll, gefährlich und aufregend, die Flucht des kleinen Jungen. Dessen Namen und den Autor dieses spannenden Buches habe ich vergessen. Die Faszination für dieses Land besteht jedoch seit Jahren, zumal ich in den Achtzigern zweimal diesen Subkontinent aufgesucht habe. Bettelnde Armut, Krankheit, Schmutz und Tod waren die bestimmenden Eindrücke dieser ersten Reisen. Aber auch: ein Reichtum an Geschichte, Kultur und Lebensart. Wie kann man es wagen, dieses Land in wenigen Zeilen schildern zu wollen? Während der Tourismus sich weitgehend auf das Tadsch Mahal und andere großartige Bauwerke und Skulpturen beschränken kann, fällt es schwer, dem heutigen Indien gerecht zu werden. Zu vieles verändert sich zu schnell.

Dabei wissen wir nicht einmal, welche tiefsitzenden Parallelen es gibt:

Die Currywurst ist eine deutsche Angelegenheit. Unsicher ist, wo sie erfunden wurde: Berlin oder Hamburg? Köstlich auf alle Fälle, wenn der Hunger nagt. Tamil ist die Sprache, aus der das Wort kommt. Curcuma, das Gewürz, das der Mischung zugrunde liegt. England hat sich lange daran gewöhnt, seinen Gästen ein "Curry" anzubieten, ein variables Gericht aus Fleisch mit einer richtigen Currysoße und natürlich Reis. In Indien essen manche sogar den Hummer auf indische Weise: total mit Curry zugewürzt, sodass der meerige Geschmack des Krustentiers verloren geht.



Das Hakenkreuz. Was waren die Nazis stolz auf dieses Zeichen des Faschismus. Noch heute versuchen einige Hirnlose, sich daran aufzugeilen. Jedoch: nicht nur altgermanisch ist es, es wurde auch immer schon in Indien gezeigt, als harmloses Dekor, oder als religiöses Symbol. Finnland und Lettland nutzten das Hakenkreuz auch politisch, aber noch bevor die Nazis es auf ihre Fahnen schrieben, womit diese Völker aus dem Schneider wären.

Der Tee, ein britisches Nationalgetränk, ohne das auf der Insel jenseits des Ärmelkanals nichts geht. Das Wort stammt zwar aus China, aber der Darjeeling und all die anderen Sorten aus Indien, Assam oder Ceylon. Mal vom deutschen Kräutertee und Pfefferminztee abgesehen, werden die verbreiteten Teesorten und Herstellungsmodalitäten in so viele Kategorien aufgeteilt, dass wir uns diese Mühe hier ersparen wollen. Vielleicht kommen wir gelegentlich beim Five O'clock Tea darauf zu sprechen. Indien, jedenfalls, ist das Land des Tees.

Der Zigeuner: man weiß, dass die Bezeichnung heute "Roma" lautet. Sonst wird es rassistisch. Die Nazis sind mit den Zigeunern übel umgesprungen und haben für den Tod von einer halben Million gesorgt. Verschleppungen und Ausrottung in Konzentrationslagern. Auch das war Völkermord. Von den heute weltweit etwa 12 Millionen Zigeunern leben in Deutschland noch 40 000 Sinti und 20 000 Roma. Die sogenannte Wiedergutmachung wurde erst ab dem 1. 3. 1943 wirksam, weil ein Urteil des Bundesgerichtshofs die rassistische Verfolgung der Zigeuner erst ab diesem Datum für rechtswirksam hielt. Auch Bürokratie kann rassistisch sein.
Da arabische Volksströme zwischen 800 und 1000 nach Christus in Indien angekommen sind, mussten die Zigeuner weichen. Sie wanderten nach Osteuropa, dem Balkan und dann nach Westeuropa. Überall und immer wieder gab es Verfolgungen. Wo bleibt das schlechte Gewissen all derer, die keine Zigeuner sind?

Ich sehe nur Berührungspunkte zwischen Rhein und Indus, Donau und Brahmaputra,  zwischen Europa und Asien.

Zu den heute 1.210 000 000 Indern kommen jährlich 15 Millionen hinzu. Geschätzte weitere 25 Millionen lnder leben im Ausland. Kein Wunder, dass in der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien die meisten leben. Inzwischen lassen sie sich, vereinzelt noch, auch in Deutschland nieder, genau wie die Chinesen, die im Jahr 2025 an Zahl von den Indern überrundet sein werden. Die weltweite Ausbreitung der indischen Bevölkerung wird dadurch beschleunigt, dass Englisch eine Amtssprache ist und jedes kleine Inderlein neben Hindi auch English an den Schulen lernt. Für chinesische Kinder ist die Anpassung an die westliche Welt schwieriger. Dafür können die Chinesen uns Westler umso leichter von ihrer genialen Küche überzeugen. In England hingegen, geht man schon lange, wie selbstverständlich, zum Inder, wenn man gut und preiswert essen möchte. "Tandoori" ist eines dieser Zauberworte.

Als ich vor Jahren auf Englisch ein Interview über Menschenrechte in Europa gab, sagte der TV-Produzent in Madras zu mir: Sie haben hierfür in Indien mindestens 200 Millionen Zuschauer. Ein Schock erfasste mich. Damals schon unvorstellbar für einen Europäer, der die Krönung der englischen Königin als erstes Großspektakel des Fernsehens in Erinnerung hat. Wenn heute Lady Gaga auftritt, oder ein fragwürdiger Präsident den Schuh gezeigt bekommt, wie einst Herr Bush, gehen die Bilder milliardenweise um die Welt. Wen wundert das heute noch?
Jetzt ist es wieder soweit: im Februar gehen Cath und ich nach Bangalore. Das ist das Silikon Valley Indiens. Dort gibt es wohl wieder ein Interview. Aber diesmal stehe ich daneben, denn Cath ist dran. Ach, wie wenig wissen wir über Indien!





Achtzig Prozent der Bevölkerung sind Hindus. 13 % sind Moslems und nur 2,3 % Christen. Auch die Sikhs machen nur 1,9 % aus, und die Buddhisten 0,4 %. Damit wissen wir noch gar nichts: Dass über 100 Sprachen dort gesprochen werden, wer hätte das gedacht? Indien bleibt ein großes Rätsel.

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