Meine Mutter kam manchmal in mein Zimmer, um nachzusehen ob ich auch schlafe. Das war meist kurz nach dem Zubettgehen. Ich war darauf vorbereitet und verschwand anschließend mit der Taschenlampe unter der Bettdecke ("Je lis au lit", sagte Voltaire und schlief ein). Dort lag mein Schatz: einer der über 60 Bände, die Karl May, der Vater von Winnetou und von Hadschi Halef Omar, Ben Hadschi Abul Abbas, Ibn Hadschi Dhavut al Gosara(???) zur Erbauung von Jungs verfasst hat. Mädchen waren nicht ausgeschlossen, aber, weder Karl May, noch die Mädchen selbst waren daran allzu sehr interessiert. Das andere Geschlecht, oder das, was sich da zum Ergötzen vieler Jungs so allmählich herausschälte, war damals eher für Hanna Spyris "Heidi" begeisterbar. Ich hingegen musste über Nacht meine 600 Seiten Karl May schaffen, weil der von einem Spezi zur Verfügung Gestellte an seinen größeren Bruder weitergegeben werden musste. Zuverlässigkeit war unbedingt notwendig, damit die wertvollen Buch-Quellen nicht mutwillig ausgetrocknet wurden. Die Besorgnisse meiner Mutter, die beim Frühstück die rot unterlaufenen Augen ihres Söhnchens begutachtete, mussten außen vor bleiben.
Lesen, was gesund macht, ist, so betrachtet, reiner Schwachsinn. Aber, nach der Lektüre von "Im Reich des silbernen Löwen" oder "Am Rio de la Plata" konnte man auf dem Schulhof mitreden. Das war wichtig. Weniger wichtig schienen die Kenntnisse über "De re publica" ("Über den Staat") von Marcus Tullius Cicero, dessen Namensvetter Roger heute als begnadeter Sänger weit bekannter ist als der Klassiker aus dem alten Rom. Auch singen kann gesund machen, meint der Interpret von "Zieh' die Schuh' aus, und bring den Müll raus".
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