Dienstag, 28. Juni 2011

Lesen, was gesund macht,

sagt die Apotheke. Und sie meint es womöglich auch. Ein verkürzter Sprung ist das, der für eine Zeitschrift wirbt, die kostenlos verteilt wird. Doch nur der Tod ist umsonst, und der kostet das Leben. Warum also kostenfrei, wenn es gesund machen soll? Versuche mal, ein Medikament, das unter Umständen gesund macht, umsonst in der Apotheke zu erstehen. Diese gesundmachende Umschau wird von der Pharmaindustrie finanziert (warum wohl?) und mit Hilfe der Apotheken verteilt. Und von alten Omas als Agentinnen für neue Mittelchen weiterempfohlen? Das kann nicht sein. Jaja, auch lesen kann gesund machen. Muss aber nicht.

Meine Mutter kam manchmal in mein Zimmer, um nachzusehen ob ich auch schlafe. Das war meist kurz nach dem Zubettgehen. Ich war darauf vorbereitet und verschwand anschließend mit der Taschenlampe unter der Bettdecke ("Je lis au lit", sagte Voltaire und schlief ein). Dort lag mein Schatz: einer der über 60 Bände, die Karl May, der Vater von Winnetou und von Hadschi Halef Omar, Ben Hadschi Abul Abbas, Ibn Hadschi Dhavut al Gosara(???) zur Erbauung von Jungs verfasst hat. Mädchen waren nicht ausgeschlossen, aber, weder Karl May, noch die Mädchen selbst waren daran allzu sehr interessiert. Das andere Geschlecht, oder das, was sich da zum Ergötzen vieler Jungs so allmählich herausschälte, war damals eher für Hanna Spyris "Heidi" begeisterbar. Ich hingegen musste über Nacht meine 600 Seiten Karl May schaffen, weil der von einem Spezi zur Verfügung Gestellte an seinen größeren Bruder weitergegeben werden musste. Zuverlässigkeit war unbedingt notwendig, damit die wertvollen Buch-Quellen nicht mutwillig ausgetrocknet wurden. Die Besorgnisse meiner Mutter, die beim Frühstück die rot unterlaufenen Augen ihres Söhnchens begutachtete, mussten außen vor bleiben.

Lesen, was gesund macht, ist, so betrachtet, reiner Schwachsinn. Aber, nach der Lektüre von "Im Reich des silbernen Löwen" oder "Am Rio de la Plata" konnte man auf dem Schulhof mitreden. Das war wichtig. Weniger wichtig schienen die Kenntnisse über "De re publica" ("Über den Staat") von Marcus Tullius Cicero, dessen Namensvetter Roger heute als begnadeter Sänger weit bekannter ist als der Klassiker aus dem alten Rom. Auch singen kann gesund machen, meint der Interpret von "Zieh' die Schuh' aus, und bring den Müll raus".


Kann es sein, dass wir deshalb nicht gesund sind, weil wir nicht gewohnt sind, zu lesen? Lesen bildet nicht nur, es lässt tagträumen, wohlig erschauern, ja gruseln. Und es bringt Gewinn. Ein wissendes Lächeln, wenn von Dingen die Rede ist, kann den Eindruck verstärken, man sei belesen. Wie schön, wenn man mitreden kann und auch noch die Muttersprache beherrscht. Dann kann es sein, dass man die Platitüden der Apotheken Umschau bereits kennt und keine Angst verspürt, mit der Haut und dem Haar über 40 die Skoliose des 21. Jahrhunderts nicht bewältigen zu können. Wer schon mal eine Million $ oder € bei einem Ratewettbewerb im Fernsehen gewonnen hat, gehört sicherlich zu denjenigen, die viel gelesen haben.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Glückliche Schweiz

Als ich vor Jahren in der Schweiz lebte, fiel mir etwas auf, was ich in Deutschland damals nicht so bemerkt hatte: wenn von Geld oder Umsätzen die Rede war, erhöhte sich der Lidschlag im Gesicht des Gegenübers. Eine Art Trance trat ein, denn, häufig von Geld zu reden, hatte damals schon etwas Erotisches. "Geld macht sinnlich", ließ Bert Brecht verlauten. Eine gewisse Verschämtheit beim Umgang mit Geld war aber allenthalben noch zu beobachten. Heute ist in der ganzen westlichen Welt das Reden von Geld zur Selbstverständlichkeit geworden. Ist das der Grund, warum die eidgenössischen Behörden ( oder sind es die kantonalen Bankenaufsichten?) so gierig hinter den Übertretungen der Autofahrer her sind? Schon leicht daneben zu parken, zieht todsicher einen Strafzettel nach sich. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung gar die strafrechtliche Verfolgung bis ins Ausland. Berappen kommt von "Räppli". Abkassieren wollen auch alle anderen Länder heute mehr und mehr.

Jetzt komme ich zum Thema: Raserei auf deutschen Autobahnen. Er hat getönte Scheiben, einen großen schwarzen Mercedes, BMW oder Audi, die Farbe darf auch silbrig-metallisch glänzen, die Lichter sind meist an, auch bei Tageslicht, du bist mit mäßiger Geschwindigkeit am Überholen auf der Autobahn, da siehst du ihn im Rückspiegel. Ein wenig zu dicht auf und den Umständen entsprechend viel zu schnell. Er will dich wegdrücken, was nicht geht, denn vor dir sind noch viele andere am Überholen, und du lässt dich nicht in eine Lücke zwischen zwei LKWs drängen. Warum solltest du auch! Außerdem denkst du, dass eine Edelmarke keine Sonderrechte verleiht. Dann denkst du, es könnte ja ein Zusammenhang bestehen zwischen dem Selbstbewusstsein des Rasenden und der Größe seines Schniedels, die eher minimal ist. Vielleicht läuft da nicht viel bei ihm. Irgendwie muss ich denken: Ersatzsexprotz, total impotent. Man möge mir das verzeihen, denn ohne dieses Herumgeballere mit Großzylindern käme ich nicht auf die Idee, die Autobahn hätte etwas mit Sex zu tun. Die vielen anderen, die es eventuell einfach nur eilig haben, geraten automatisch in den Generalverdacht, es den Großen nachmachen zu wollen. Oder, sie sind einfach gestresst. Da kann man schon einmal einen Fehler machen.

Es gab einmal ein Ministerchen aus Baden-Württemberg, das nach seiner politischen Arbeit für die Regierungspartei in die Vertretung der Kfz-Industrie überwechselte, um als Verbandsvertreter weiterhin gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf die Bremse zu treten. Manche nennen ihn einen Lobbyisten. Die arme Autoindustrie, wie soll sie weltweit wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie auf den heimischen Straßen nicht mehr hemmungslos herumrasen darf! Wie er (der Miniminister) reagiert, wenn er von einem dieser Ritter der Autobahn selbst einmal weg gemobt wird, muss uns nicht interessieren. Was mich eher interessiert, ist der Zusammenhang (auch) zwischen Aggressivität auf Straßen und Intelligenzquotient. Es kann doch nicht sein, dass ein Raser, der in gefährlicher Kleinarbeit bis zur nächsten Ampel zwanzig Fahrer überholt, sich einen Zeitgewinn von mehr als einer Minute verspricht.  Wo bleibt da das Gehirn? Auch das dichte Auffahren ist eher ein Zeichen von mangelnder Intelligenz, oder sollte es sich hier um eine Sportart handeln, die noch nicht olympiareif ist? Takt und Distanz wäre hier die Lösung. Ein IQ unter dreißig hilft dabei nicht.

Die Schweiz ist ein schönes Land, in dem die Geschwindigkeit begrenzt ist. Gründe dafür gibt es viele. Aber, muss man sich unbedingt austoben, wenn man die Landesgrenzen hinter sich gelassen hat? Ein unangenehmes Phänomen, einen schwarzen Großzylinder mit Nummern wie ZH, BE, GE, LU etc. mit der gleichen Raserei herumirren zu sehen wie die mit dem S, K, F, M, etc. Könnte es sein, dass unsere schweizer Mitfahrer sich auf deutschen Autobahnen für die heimische Strenge rächen wollen? Oder sich ein wenig austoben? Das mit dem Schniedel möchte ich ihnen jetzt doch nicht anhängen. Halten wir fest: Fast Food hat sich als Irrtum erwiesen. Slow Food war die Antwort darauf. Ein langsameres Deutschland auf den Straßen wäre ein glückliches Deutschland, und die Schweiz behielte immer noch den großen Vorteil, langsam einreisende Deutsche diskret und kostenfrei in den zahlreichen Bankfilialen parken zu lassen.

Dienstag, 21. Juni 2011

Dickleibigkeit, eine Schande?

Halt! Dazu wäre einiges zu sagen. Natürlich sieht man es ihnen an: Sie schleppen die Pfunde verschämt mit sich herum. Beim Einstieg in den Bus gibt es Probleme. Beim Aussteigen ebenfalls. Der Schlanke, der es da immer leichter hat, schaut da manchmal etwas herablassend. Obwohl, Schlankheit ist kein Talent. Höchstens das Ergebnis eines Bemühens. Ja, Konfektionsgröße kommt dem Undicken in der Boutique sehr entgegen. Weil man auch mit Übergrößen Geld verdienen kann, gibt es auch entsprechende Läden, in die man sich verstohlen hineinbegibt, um etwas Schwarzes (das macht schlanker) oder etwas Schlapperiges zu kaufen, nicht total unmodisch, damit man etwas weniger pummelig daherkommt. Bei Männern ist das in der Regel hoffnungslos. Das sehe ich, wenn ich kritisch an mir hinunterblicke. Dann kommt oft der männliche Trotz: Martin Luther hat ihn gelehrt: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders".


Frauen hingegen können in der rundlichen Fassung mitunter sehr lecker aussehen. Je älter ich werde, desto öfter begegne ich Männern, die sich als Verehrer von "Mollies" outen und bei Bohnenstangen, die ja auch nichts dafür können, nur Platonisches empfinden. Dickleibige Männer, deren Attraktivität ich persönlich nicht entdecken kann, erscheinen oft vollgepumpt mit Selbstbewusstsein, selten verschämt. Dabei hätte bei den ganz Älteren immer noch Hermann Göring als abschreckendes Beispiel fungieren können. Wer hat diesen Reichsuniformträger noch nie auf einem Foto gesehen? Er schien geradezu ein Recht auf nationalsozialistische Feistigkeit zu haben. Wie sagte die Marktfrau, die im Dritten Reich ihren Fisch mit dem Ausruf: "Hering, so fett wie der Göring" anpries, wofür sie 2 Wochen in den Bau kam? Wieder zurück auf dem Wochenmarkt - schließlich musste sie ihre Familie ernähren, denn Vati war, damals spindeldürr in einer Militäruniform in Russland unterwegs, wurde sie zunächst von der Gestapo überwacht. Kluge Menschen lernen aus jeder Lage heraus. Also rief sie: "Hering, so fett wie", dann legte sie eine Pause ein und fügte hinzu: "wie vor 14 Tag'n". Damit hatte sie alles gesagt.

Zurück zur Obesität. Seit  Hollywood Maßstäbe gesetzt und die Illustrierten den weiblichen Menschen unerbittlich genormt haben, sind schöne Filmweiber wie Adele Sandrock oder Ruth Stephan auf der Strecke geblieben, während Hella von Sinnen erfolgreich mit ihren Rundungen hausieren geht. Wir haben alle das nicht real existierende Idealbild des schönen Menschen in unserem Innersten übernommen und sind darüber nicht glücklich. Zuviel Kosmetik und Körperqual hängt an diesen Kunstprodukten. Und eine Geschmacksfrage ist und bleibt es. Manchmal heißt es sogar, es hätte mit dem Hormonhaushalt zu tun, dass man übermollig ist. Es wird auch gerne schöngeredet: Vollschlank, gut gerundet, "stark", usw. Was man nicht hören möchte, ist: olfett, schweinedick, pummelig oder schwabbelig. Das heißt, wir sollten gemeinsam an einem Menschenbild arbeiten, das sich loslöst vom schwachsinnigen Nachplappern vorgegebener Hollywoodnormen. Wir finanzieren damit übrigens eine ungeheure Diät-, Pharma- und Kosmetikindustrie.

Seien wir ehrlich: wenn ich unbedacht und ohne mein relativ schlankes Kontrollorgan (meine oft beruflich abwesende Frau) vor mich hin esse, kann ich in einer Woche, schon aus Trotz gegen die "Einsamkeit" gute 2 Kilos zunehmen. Hochgerechnet macht das bei mir ein Übergewicht von 6-8 Kilos, mit dem ich zwar leben kann, das aber in mühsamer Kleinarbeit wieder heruntergefahren werden muss. Allerdings gehe ich nicht bei jeder Bushalte der Greyhoundlinie, etwa, in den USA oder in Kanada, an den Automaten, um für 1 $ einen Sack Chips meiner Gütewahl heraus zu lassen. Neu Zusteigende haben meist schon eine Plastiktüte voller Chips in der Hand, wenn sie versuchen, trotz der Kilos, noch dynamisch in den Bus zu steigen.  Andere nutzen gerne den Stopp, um sich wieder mit neuem Stoff zu versorgen. Wer dann noch Mäckdo und Couchglotze, im Schnitt 4 Stunden pro Tag, praktiziert, darf sich über seinen Zustand nicht wundern. Es ist einerseits die fragliche Ernährung, andererseits die mangelnde Bewegung des Körpers, die eine kilobedingte Katastrophe auslösen. Man braucht keine Ernährungsberater, um sich in die Lage der Neandertaler zu versetzen: Arbeit (statt Fernsehen), um zu überleben, keine Schulbildung, nur sammeln und jagen, eventuell einen Schamanen aufsuchen, der sagt wo's langgeht. Und schon kann man sich das Schlanksein wieder vorstellen.



"Dieting makes you fat",  heißt ein Buch von Geoffrey Cannon, das erstaunlich ehrlich ist. Nicht, dass ich es gelesen hätte. Meine Frau brachte es mir aus London mit, wohl in Erwartung der  2, während ihrer Abwesenheit hinzu gekommenen Kilos, denen sie den Garaus machen möchte. Das Inhaltsverzeichnis habe ich studiert, um mich besser in den über 300 Seiten zurechtzufinden. Warum Diät dick macht, wissen alle, die dem Jojo-Effekt schon über den Weg gelaufen sind. Geoffrey behauptet, die Ursachen seien biologisch, wirtschaftlich, sozial und umweltbedingt. Entsprechend hart scheint er gegen den "Food Scandal", den Ernährungsskandal, vorzugehen. Ich fasse (aus guten Gründen nicht) zusammen, dass man die Ernährung nicht  den Machern überlassen soll, die nur Geld verdienen wollen, dass man auf Geschmacks- und ähnliche Verstärker weitgehend verzichten sollte, und den Wert unveränderter Lebensmittel wieder erkennen muss. Die sieben goldenen Regeln gesunder Ernährung. Hier kann man sie finden, glaube ich. Also werde ich wieder einmal "lesen, was gesund macht", hoffentlich, ohne mir verarscht vorzukommen. Einen Versuch ist es allemal wert, wenn ich an meine 6-8 Kilos denke. Aber schämen kann ich mich deshalb nicht. Ich teile das Schicksal von Millionen Menschen, die sich selbst und der Lebensmittelindustrie auf den Leim gegangen sind. Die Verdickung der Menschheit ist nicht politisch aufzuhalten, sondern durch die passende Ernährung

Donnerstag, 16. Juni 2011

Von Heuschrecken und sonstigen Plagegeistern

So viel weiß man: die Heuschrecken gelten als biblische Plage, die eventuell im Gewand einer Strafe Gottes immer wieder über die Menschheit hergefallen ist. Brrrr! Für einen kindlichen Naturforscher sieht in unseren Breiten die Sache ganz anders aus: vor allem die grünen Grashüpfer können ein Kind in freudige Aufregung versetzen. Kaum versucht es, das sprungbeinbewehrte Tier mit der Hand zu fassen, hat sich die Schrecke mit einem Riesensatz aus dem Staub gemacht. Die ganz großen Heuschrecken (manche können bis zu 25 cm Länge erreichen) haben es da schwerer. Bevor sie zum Sprung ansetzten, der auch ein Flugstart in die Lüfte sein kann, zögern sie. Die Erdschwere muss überwunden werden. Der Sprung sollte sich auch irgendwie lohnen. Das ist bei einem Hubschrauber nicht anders. Das Aufspüren von Geschlechtspartnern geschieht allerdings durch das Hervorbringen von Zirplauten, die dem einsamen Schläfer manchmal auf den Geist gehen können. Von Hubschraubern ist man da andere Laute gewöhnt. Diese entstehen jedoch Gottseidank nicht im nächtlichen Garten.

Seit der industriellen Revolution, die bekanntlich im 19. Jahrhundert von Manchester ausging, wissen wir, dass es Menschen gibt, die nehmen, was sie kriegen können. Ihnen genügt es nicht, täglich eine Flasche Champagner und ein Kilo frische Gänseleber zu verkosten. Nein, sie wollen sich 1000 Flaschen pro Tag und zur Gänseleber auch noch eine Tonne Hummer leisten können, und dann noch einige Milliarden auf dem Konto haben. Die Frage heißt jetzt nicht: "gibt es das?", sondern sie lautet: "warum"? Das haben Karl Marx und Friedrich Engels, die sich ja intensiv mit dem Manchesterkapitalismus auseinandergesetzt haben, nicht herausfinden können, obwohl sie einiges von dem bereits verstanden haben, was man heute unter Heuschreckenmentalität versteht. Versuchen wir daher eine Definition, die nicht zu sehr ver(heu)schreckt: mit Geld kann man alles kaufen, auch wenn man nicht alles braucht. Der gesunde Menschenverstand spielt dabei keine Rolle. Häuser, Yachten, kleine Inseln, politische Parteien in großen Ländern und große Parteien in kleinen Ländern. Das alles ist käuflich.

Die Liebe könnte dabei etwas zu kurz kommen, weil die dafür benötigte Zeit Geld ist. Aber Sex kann man in jeder Form haben, vor allem, wenn man auch noch prominent ist. Einen Doktortitel benötigt man weniger, bekommt ihn aber mühelos geschenkt. Und, wer will denn noch als Milliardär Honorarkonsul von Honolulu werden? Also, Liebe und Geld scheinen nicht so recht zusammen zu passen. "Elvira, Jean-Philippe, ich liebe dich. Zwar bin ich klein und fett, und ich rieche manchmal, aber, hier sind meine Anteile aus dem Bananengeschäft. Die gehören jetzt dir, wenn du mich liebst". Elvira oder Jean-Philippe
sind richtige Menschen. Geld hätten sie auch gerne, aber ehrlich verdientes. Und lieben möchten sie wie in biblischen Zeiten, wo es noch Jäger und Sammler gab. Die haben sich nur genommen, was sie brauchten. Was schließen wir daraus? Der Mensch braucht vielleicht Liebe, aber keine Heuschrecken.

Samstag, 11. Juni 2011

Der Mut der Verzweiflung

Er packt dich, wenn du keinen Ausweg mehr siehst. Entschlossen stellt man sich der Gefahr in den Weg. Und überlebt. Tut man das nicht, müssen andere darüber befinden, ob du mutig warst oder nur tollkühn.
Dem Mutigen gehört also die Welt. Deshalb habe ich in den Tagen vor Pfingsten Gurken, Tomaten und Salat gegessen und diesbezügliche Warnungen in den Wind geschlagen. Die Sojasprossen sind nicht so mein Ding. Bei den Asiaten auf dem Wochenmarkt hätte ich sie jedoch unbekümmert gekauft, doch auf seltsame Weise verschwanden sie dort plötzlich.


Wie steht es um das Land der Philosophen? Kant, Hegel und Schopenhauer hätten sicher, vielleicht etwas zu abstrakt für den Normalbürger, einen gehobenen Leitfaden für richtiges Verhalten gefunden. Stattdessen scheinen wir ein Volk von Ängstlingen, Feiglingen und Bedenkenträgern geworden zu sein. Auch die Tanzstunde scheint keine Verhaltensmuster mehr zu vermitteln. Ein Glück, dass die Politik sich entschlossen hat, sich breiter aufzustellen. Der Ausstieg aus dem Ausstieg. Die Entwarnung in Sachen Gurken und Salat, auch der Vulkan aus Island hat nichts mehr von sich hören lassen. Die griechische Banken-€-Krise ruht über die Feiertage auch. Stuttgart 21 hängt zwar noch etwas in der Luft, wird sich jedoch bald wieder wie eine Lawine lostreten lassen. Aber so richtig beruhigen will uns keiner. Wir gehen an die Tankstellen und bezahlen mehr. Im Supermarkt werden wir an die Frischetheke geführt, weil jetzt alles frisch geworden ist. Nur: es scheint uns schlechter zu gehen, denn je, und warum haben wir keine Philosophen mehr, die sagen, wo es lang geht? Keine Kirchen mehr, denen man vertraut, wenn sie den Heiligen Geist beschwören? Keine Lehrer mehr, die wenigstens anbieten, einem Lümmel die Ohren stramm zu ziehen, wenn er aufmüpfig ist?

Woher sollen wir die Gelassenheit des Mutigen nehmen? Aus dem häuslichen Glück? Aus der immer noch schönen Natur? Aus der Politik? Dazu müssten auch wir uns etwas breiter aufstellen. Doch wie macht man das? Am besten, man nimmt sich Zeit. Rennt nicht hinter ihr her. Aufgepasst, Raser, man gewinnt nichts, indem man ein Rennen gewinnt! Den anderen nicht wie den letzten Dreck behandeln. Das wäre schon ein schöner Anfang. Vielleicht auch den, der rabenschwarz (nicht politisch gemeint) sein Leben führt, oder körperlich beschädigt ist, oder halt nicht so raffiniert und intelligent ist, mit gelassenem Wohlwollen seine kleinen Fehler begehen lassen, das würde weniger böses Blut schaffen. Vielleicht zu unserem eigenen Glück beitragen? Den Mut dazu aufzubringen, darüber würde der Heilige Geist sich dumm und dusselig freuen. Auch Schopenhauer wäre dann bereit, auf die Welt mit einem freundlichen Lächeln herabzuschauen.

Donnerstag, 9. Juni 2011

Herbst, total verfrüht

Herbst des Lebens, Du bist golden,
Sagen viele mit Behagen
Warum sollten Blütendolden
Später ihren Dienst versagen?

Bis du ganz in Ehren grau bist,
Wenn das Glas dir aus der Hand fällt,
Und die Runzel, ganz bescheiden,
Jedem Eingriff tapfer standhält?

Blätter, gelb wie manche Dotter,
Sieht man sanft herunterschweben,
In die Höhle kriecht der Otter,
Will den Winter überleben.

Also wird man langsam älter,
Weist die Schuld den andern zu,
Apotheker lächeln kälter,
Weg vom Fenster bist dann Du.

Dienstag, 7. Juni 2011

Die Nacht bricht herein, Ernesto!

Wir haben zusammen gesungen. Spielerisch hast du mir spanische Lieder beigebracht. Deine herrliche Stimme war auch im Russischen Chor wohlgelitten. Du hattest den Rang eines Stars. Ich dagegen, liebte zwar den Gesang, doch meine Stimme quiekt auch heute noch. Alle möglichen Talente hat man dir nachgesagt. Du hattest sie. Reden wir von Philosophie, Theologie, Literatur, Sprache, Musik, Menschenkunde: alles hast du mit Leichtigkeit, und doch mit dem nötigen Ernst betrieben. Auch viel geschrieben.

Wir haben nie über Freundschaft gesprochen, doch war sie allgegenwärtig. Wir haben nie gestritten. Dafür liebten wir das Lachen und die schönen Seiten des Lebens zu sehr. Wir haben auch Schläge entgegengenommen: ich verlor meine Eltern, du deine geliebte Schwester, dann den Schwager, dann, nach langen schönen Jahren, deine geliebte Mutter. Wir standen beide irgendwie im Leben und sahen wenig Anlass, an uns zu zweifeln. Viele nannten sich deine Freunde. Und waren es.

Die Jahre gingen dahin. Eva trat in dein Leben. Nur wer die Liebe selbst erlebt hat, weiß, was das bedeutet. Wir freuten uns alle, gaben großzügig ein Stück unserer Freundschaft an sie ab. Im Zeitalter der Ökonomisierung der Werte, eine gewinnbringende Investition. Logisch, dass man dich nur noch selten zu sehen bekam. Auch dein Ruhestand, nachdem du dich von der Universität zurückgezogen hattest, war voller Aktivität: Schreiben, etwas tun, um dem Leben den nötigen Sinn zu geben. Dennoch warst du uns immer gegenwärtig. Irgendwie.

Jetzt müssen wir auf Erinnerungen zurückgreifen. Daran denken, wie du, Eva zuhause zurücklassend (weil sie als Augenärztin genug zu tun hatte), mit mir und einem Freund drei Tage lang durch Rioja fuhrst, um Wein zu probieren. Du machtest uns damit ein herrliches Geschenk, das mit dem Kauf von 1200 Flaschen Rioja Crianza endete, die per LKW nach Deutschland verfrachtet und dort innerhalb von nur drei Jahren getrunken wurden.

Dein Umgang mit der deutschen Sprache war liebevoll, intelligent und kreativ: Mit der intimen Kenntnis deiner eigenen Muttersprache und der grenzenlosen Möglichkeit von Wortschöpfungen im Deutschen wurden verbale Ungeheuerlichkeiten geschaffen, über die man sich totlachen konnte und die man hätte festhalten sollen. Doch alles Schöne geht vorüber, flüchtige bis tiefe Erinnerungen hinterlassend. Ernesto Martinez Diaz de Guerenu, du lieber Freund für immer, die Nacht ist hereingebrochen.