Sonntag, 6. März 2011

BlickKontakt in Ravensburg

Maurice Ravel, dem wir die Rhapsodie espagnole und den Bolero verdanken, hat der Welt schon früh ein Rätsel aufgegeben. Impressionistische Klangbilder, nebeneinander  mit feinem Gefühl und emotionaler Spannung gezeichnet: wie soll man das verkraften? Irgendwann sagt man: „Schluss damit“, wenn der Bolero in die finalen Kurven geht und den verzagten Hörer rhythmisch in den Abgrund zu reißen droht. 


Die Malerei hat es da vielleicht etwas leichter. Sie lässt das Auge entscheiden: Hinblicken oder wegblicken sind die Alternativen. Was auf den Betrachter einstürmt, ist seine Sache. Er kann auch nur ein wenig hinschielen, wenn ihm das Ganze nicht geheuer ist. Aber, was macht er mit der feinen Ironie, mit dem menschenfreundlichen Humor, mit dem Hintergründigen, das nur bei scharfer Betrachtung sichtbar wird? Nun, es gibt Künstler, denen man mit solchen Beobachtungen nicht kommen kann: sie arbeiten mit Farben und Formen und Themen, die sich dem Auge schnell erschließen. Mit Glück findet der Kreative schnell zu sich, lässt seine Vorbilder verblassen, richtet sich ein in der Nische, die nur ihm gehört.
Was aber macht der Künstler im Landgericht von Ravensburg, einem altehrwürdigen Gebäude, das auch einmal ein Kloster war? Diskret und fast übersehbar steht ein Plakat vor dem Eingang zu einer Ausstellung, die noch bis 1. April ihre Tore offenhält. Ganz zufällig kamen wir nicht hierher: wir hatten uns mit Christl Schneider-Götz und ihrem Mann dort verabredet. Besuchermassen wurden an jenem „schmutzigen“ Donnerstag nicht erwartet, denn der Karneval, hier Fasnet, war voll im Gange. Das Innere des Landgerichts, eine Insel der Ruhe. Und wir mit der Künstlerin! Was für ein Privileg. „BlickKontakt“ nennt Christl ihre Ausstellung. Blickkontakt haben wir erstaunt aufgenommen, als wir die etwa 30 Gemälde, fast alle im Format 100x150 cm wahrgenommen haben. Sofort fiel uns die Mischtechnik der Bilder auf: die meisten nicht nur Öl auf Leinwand, sondern eine Vielfalt ungewöhnlicher Art: Acryl, Asche, Sand, Öl auf Leinwand. Papier, Graphit, Ölkreide, Ölfarben auf Leinwand. Gips, Asche, Öl etc. WeitBlick, RückBlick und SeitenBlick heißen einige ihrer Werke, oder einfach Blickkontakt I, II, oder III. Jedes Bild eine Ironie mit ernstem Hintergrund und faszinierenden Details. Auf gespachtelter Leinwand erkennt man unter dem Titel „Katerstimmung“ eine junge Person, die sich der Welt verweigern möchte, wobei neugierig geworden, die Hauskatze über den weiblichen Körper kriecht. Das wahnwitzige Detail ist das meisterhaft gemalte Fell der grauschwarzen Katze. Ich habe nie ein solch lebendig gemaltes Fell gesehen. Traurige Ironie ist es, wenn die leicht französisch anmutende, aus den „guten Jahren“ gekommene Frau sich an den Jüngling lehnt, ihren Geliebten, der offensichtlich jede Lust an seiner Ehemaligen verloren hat und unsicher in die Ferne starrt. Ihre alt gewordenen Hände sind das Symbol für diesen Abschied. 
„Paarlauf“ nennt sich eine eher fröhliche Variante der gemalten Ironie: Zwei junge Männer laufen dem Betrachter mit beatem Lächeln entgegen, die Beine in sprunghafter Bewegung. Irgendwie das jungenhafte Lächeln zweier in sich (?) Verliebter. Und dann die zynische „Nabelschnur“, ein offensichtlich durch langjährigen Kinderwunsch frustriertes Paar, das zwischen sich, an einer lächerlich dünnen Leine, ganz unten im Bild, ein hundeähnliches Tier spazieren führt. Ein fast jämmerlicher Ersatznachwuchs.  Mehr als eindringlich, das Tier. 

Ach, ja, „Herrenlos“ nennt sich die gemalte gute Laune zweier hübscher Frauen, deren Lachen aus dem Bild zu springen droht. Wie macht Christl das? Wie bringt sie zum Ausdruck, dass die beiden Mädchen auch ganz ohne Männer glücklich sind? Die weißen Zähne der Herrenlosen blitzen trotzig und unternehmungslustig, gleichzeitig. 
Vieles wäre zu dieser Austellung zu sagen. Zum Beispiel würden Cath und ich mit Vergnügen ein zweites Mal in das Ravensburger Landgericht gehen, um  die Eindrücke verstärken zu können. Dabei muss manches unerwähnt bleiben. Die Porträts, ein Thema für sich, zumal die Misch- und Collagetechniken immer wieder erstaunen, weil sie nicht als reine Spielereien wahrgenommen werden, sondern als Ausdrucksmittel. Die Künstlerin überrascht vor allem durch ihre originelle Vorgehensweise, ihre Themenwahl, ihr Understatement, ihren Humor, der trotzdem lacht. Vor allem sind es die Augen, der Blick. Was gibt es Eindringlicheres als den Blickkontakt ? Verstehen und verstehen lassen.

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