Ich werde mich hüten, so zu tun, als wäre ich der erste, der ein Loblied auf eine der schönsten Städte der Welt singt. Das tun andere, haben andere immer schon getan. Der Erstbesucher kommt übrigens auch im Winter, ergattert vielleicht ein preiswertes Hotel, tappt bei Regen durch Pfützen, arbeitet sich durch das Programm und ist am Abend hundemüde. Das Programm, wer kennt es nicht? Eiffelturm, Champs Elysées, Arc de Triomphe, Opéra, Madeleine, Louvre, Notre Dame, Sacré Coeur, Métro, Boulot, Dodo, wie der Pariser sagt. Die letzten drei Punkte müssen erlernt werden: Das U-Bahnsystem (eines der nutzerfreundlichsten der Welt), Boulot heißt Maloche und Dodo soviel wie ratzen. Seien wir nicht kleinlich: man könnte auch in den Jardin du Luxembourg, den Bois de Boulogne oder auf der Seine mit dem Boot herumfahren. Paris ist fest im Programm der japanischen Europabesucher. Man sieht es an den zahllosen Suschi-Restos, in denen meist Japaner sitzen. Auch in den Galeries Lafayette gibt es ganze Abteilungen, die sich in sicheren japanischen Händen befinden: Verkäuferinnen wie Kundinnen kommen aus dem fernöstlichen Land. Geschäft ist Geschäft.
Wer in Paris einmal gelebt und gearbeitet hat, weiß, was „métro boulot, dodo“ bedeutet. Man ist Teil eines brodelnden Molochs, der weltweit Gegenstand von Träumen vieler Menschen ist. Träume, die auf die harte Wirklichkeit gestoßen sind. Mannigfach besungen, in allen Sprachen. Das Träumen verfliegt schnell. Das ewige Schlangestehen, wenn es etwas zu besichtigen gibt, das Herumturnen um Baustellen und unbotmäßig geparkten Fahrzeugen. Das macht müde und lustlos. Manchmal reicht es am Abend nicht einmal mehr für einen Fluch. Dodo eben.
Was mir zum erstenmal aufgefallen ist: Millionen von Kauern müssen über die Jahre hinweg ihre Kaugummis auf den Gehsteig gespuckt haben. Nach einer ersten Phase des Sichfesttretens, wird der graue Fleck immer blasser. Ganz verschwinden tut er nicht. Millionenfach zu betrachten, überall in Paris. Ebenso die braunen Hundehaufen, liebevoll „crotte de chien“ genannt. Diese Stadt schafft es nicht, die Scheißwut ihrer Vierbeiner zu zügeln. In der Schweiz hätte man für solche Zustände schon längst die Todesstrafe wieder eingeführt. Glückliche Hunde! Eure Schuld ist das nicht. Wie so oft läßt sich der wahre Schuldige verleugnen. Die Dunkelheit hilft ihm dabei. Diskret wird frühmorgens und spätabends ausgegangen, pipimachen und koten. Unappetitlich ist das schon.
Kippen: dafür muss man Verständnis haben. Um die Kneipen herum, die man an der Seine „bistro“ nennt, wird geraucht. Der Nichtraucher kann ein Lied davon singen. Kippe neben Kippe. Das soll heute jedoch auch in anderen Städten und Ländern so sein. Man versammelt sich draußen, kalt wie es ist. Nur selten noch begegnet man jener alten Dame, die ein halb erloschenes Zigarillo im Mundwinkel führt und sich dafür den Respekt der Jungen erwirbt. Ich habe sie in Paris gesehen. Heute ist ein solches Original eine jener Randfiguren, von denen es in Paris mehr und mehr zu geben scheint. Dreimal wurde ich in der Métro von talentlosen Sängern angemacht, die oft eine kleine Ansprache halten, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Die wohlhabenderen Métroviertel mit den weniger vollgestopften Waggons sind das bevorzugte Opfer. Handelt es sich hier um zugelaufene Schwärmer der Lichterstadt, die einfach hängen blieben? Sehr einträglich kann dieses Geschäft nicht sein. Was die verärgerten Fahrgäste auf die Palme bringt, ist die Unmöglichkeit, dieser Erpressung zu entgehen. Stumme Wut steht in den Gesichtern derer geschrieben, die das mehrere Male am Tag erleben. Eigentlich stärkt es den Mut der Mitfahrer, nichts zu geben. Schade. Man lässt sich nicht gerne zwingen, den Geldbeutel aufzumachen. Es sieht so aus, als hätte sich die Zahl der Notdürftigen in Paris in den letzten Jahren vervielfacht.
Den Geldbeutel auf macht man aber auch ungern, wenn man für ein Gläschen Chardonnay (0,1l) fünf Euro oder mehr hinlegen und feststellen muss, dass er wie verdünnte Pisse schmeckt. Vielleicht übertreibe ich ein wenig, aber das Land, dessen Weinproduktion in Europa am höchsten ist, sollte sich auf die alten Zeiten besinnen, wo man einfach ein Glas Wein bestellte, rouge, blanc oder rosé und wusste, was man bekam. Die Franzosen selbst sprechen von „piquette“, was ein ganz vernichtendes Urteil aus berufenem Munde ist. Zum Glück steht es meist besser um den Wein, der aus einer vollen Flasche kommt. Aber, wer möchte schon wegen eines kräftigen Schlucks eine ganze Flasche bestellen? Die klingenden Namen bedeuten nur noch etwas, wenn viel hingelegt werden muss. Ansonsten sind sie Schall und Rauch. Aber auch Bier ist alles andere als preiswert.
„Drainage“ ist französisch und heißt „Entwässerung“. Wo ist diese geblieben, wenn es regnet in Paris? Am besten, man bleibt zuhause: Überall Pfützen zum hinein treten. Wieso kann man für den gequälten Bürger und seinen Bürgersteig nicht mehr drainage herstellen. Abflussrinnen an Gehsteigen sind grundsätzlich verstopft. Ganze Lachen stehen herum, wenn du im Regen irgendwo hin musst. Nicht nur lieferst du die üblichen Duelle mit den Schirmen der anderen, nein, „la flotte“ sickert dir in den Schuh, weil das Wasser nicht ordentlich abgeführt wird. Es gab eine Zeit, das Jahrhundert, bevor der Eiffelturm errichtet wurde, wo die Schönen der Nacht, um Kot und Pfützen auszuweichen, Schuhe mit hohen Absätzen trugen. Schon lange trägt die Weiblichkeit diese halsbrecherischen Gehwerkzeuge als Modegag. Die vernünftigeren unter den Frauen beschränken diese Tortur jedoch auf die wenigen großen Augenblicke des Lebens, was ihre Füße immerhin vor Freude jubeln lässt.
Beenden wir diese infame Schelte einer ruhmbekleckerten Weltstadt. Paris ist natürlich auch schön, wenn der Lack ein wenig abgebröckelt ist. Der Eiffelturm macht immer noch was her. Die Seine fließt noch immer bedächtig dem Atlantik zu. Vieles hat seinen Charme bewahrt. Auch für den Nichtjapaner. Wer die Tür zu einer dieser vielen „boulangeries“ öffnet, dem kommt der göttliche Duft von Croissants und Baguettes entgegen. Manche Schöne lässt sich jedoch lieber vom Duft eines Parfüms in einer Boutique betören. Paris ist beides: baguette und Jeanette. Und wer tief in die Taschen greift, erlebt die Metropole wie sie einst war.
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