Samstag, 23. Juni 2018

Bitte, lasst mich nicht allein!

Weiß noch jemand wie man sich fühlte, im Luftschutzkeller? Als Kind wurde ich hinuntergetragen, wenn es mir nicht gelang, rechtzeitig mein Köfferchen zu fassen und hinter Mama herzulaufen. Eine doppelte Metalltür mit gläsernem Bullauge gab einen winzigen Blick in die nächste Sektion frei. Im Keller konnte man das Licht anschalten, wenn man beide Türen hinter sich hatte. Die Türen waren mit Gummi abgedichtet, sodass keine Luft durchkam.

Es war Krieg. Der Feind flog jede Nacht über unsere Häuser. Man konnte die Maschinen am Himmel sehen, wenn ein Scheinwerfer der Flugabwehr das Flugzeug eingefangen hatte. Die FLAK, Flugabwehrkanone, traf einmal einen Flieger im Lichtkegel des Scheinwerfers. Meine Mutter platzte vor Entsetzen, als sie herausfand, dass ich nicht wie alle anderen im Luftschutzkeller saß, sondern nächtens alleine auf der Straße stand und fasziniert den Luftkampf beobachtete. Sie packte mich und schleppte mich zu den anderen.


Ganz vergessen kann man das nie, obwohl wir schon lange nichts mehr von Luftschutzkellern gehört haben. Auch, dass es überall von Spionen nur so wimmelte. PST-der Feind hört mit. Das hatte man uns - nicht ganz zu Unrecht - eingebläut. Auf großen Plakaten war dies überall zu lesen. Schwarz auf Weiß. Ein Spionenmonster blickte finster hernieder. Für mich der PST-Mann, ein echter Widerling.


Es gab damals keine jungen Männer, die nicht Soldaten, oder, wie unser Nachbar Eugen, behindert waren. Eugen war um die zwanzig und konnte nicht sprechen. Alle liebten ihn. Seine Lippen liefen blau an, wenn er husten musste. In der Nacht wurde er von zwei Typen (SS?) abgeholt. Nur die Mutter wusste davon. Sie wusste Bescheid. Eine Woche später hieß es, er sei an Herzversagen gestorben. Es stand vorgedruckt auf einer Postkarte. Unterschrift: unleserlich. Teuflisch war nicht die richtige Bezeichnung für diesen Mord.


Die Postkarte wurde allen gezeigt. Das war wohl nicht verboten. Ich erinnere mich an die wütende Mutter, deren Schmerz jeder sehen konnte. Sie war nicht in der NSDAP, der Nazipartei. Es gab damals viele Menschen, die in keiner Partei waren. Warum auch. Und selbst Parteimitglieder hatten oft Angst. Meine kindliche Todesangst wurde durch die vielen Fliegerangriffe verursacht, die es gegen Kriegsende gab. Fast jede Nacht. Millionen von Menschen mussten damals ihr Leben lassen, überall. Schon deshalb ist mir dieser Trump nicht ganz geheuer. Vielleicht ist er aber nur eine Vogelscheuche.



Donnerstag, 21. Juni 2018

Der frühe Wurm hat einen Vogel.

Oder so ähnlich. Doch nicht nur der frühe Vogel fängt ihn. Vögel sind auch manchmal spät dran. Wer verzeiht ihnen dann? Zu spät? Würmer müssen auch eine Art zu überleben haben. Vogel und Wurm. Passt irgendwie zusammen. Bei Vögeln vermutet man Spatzenhirn. Bei Würmern garnichts. Und bei Kirschen: Würmer.

Wo ist der Vogel? 
Was für einen schönen mittelgroßen Kirschbaum haben wir. Letztes Jahr waren wir in England, also keine Kirschen. Dieses Jahr hängt der Baum voller Kirschen, aber an den winzigen runden Löchern erkennt man leicht den würmlichen Kirschenbewohner. Muss das sein? Nur jede dritte Kirsche scheint von Maden befallen zu sein. Eklig genug, um nicht blind in eine Kirsche beißen zu können.


Früher gab es so etwas nicht. Ja, Äpfel, Pflaumen, aber Kirschen? Oder hat mein Erinnerungsvermögen wieder einmal für mich selektioniert? Ich erinnere mich nur an Kirschen, die mit geschlossenen Augen verzehrt werden konnten. Und bei Kirschplotzer wurden nicht einmal Fragen gestellt. Platznehmen und Plotzer essen. Das wars.

Die Kirsche soll von den Römern nach Europa gebracht worden sein. Das können wir glauben. Sie haben uns ja auch den Römertopf besorgt. Welche Hausfrau könnte ohne ihn leben? Karl der Große, der wegen seiner Körpergröße der Große hieß, soll die Kirsche in Sachsen heimisch gemacht haben. Wohl dem, der daran glaubt. Vielleicht sogar die fast ungenießbare Sauerkirsche, deren Verwendung heute überall gesichert ist.

Kirschspeise 
Wenn es also stimmt, dass der frühe Vogel den Wurm fängt und ihn auch noch genießt, warum gibt es dann nicht mehr Vögel? Wurmvögel, Sturmvögel statt Singvögel? Wer gut zu Vögeln ist (um das grausige Wortspiel endlich zu spielen), der darf auch noch andere Talente sein Eigen nennen. Vogelfreunde sind teilweise in Interessengruppen zusammengefasst. Wenn da der Wurm drin ist, lasst uns ganz schnell an Donald Trump denken. Da ist der Wurm schon gut vorangekommen. Und lange drin.


Samstag, 16. Juni 2018

Na, dann...

Die Nachbarn haben ein großes Grundstück. Ich vermute, sie sind darauf etwas stolz. Es soll vorkommen, dass die Größe aufs Gemüt schlägt und vor allem kleine Menschen aufs hohe Ross hievt. Dafür muss der mit dem großen ganz schön eiern, um den Rasen vor den Feiertagen noch gemäht zu bekommen. Alles rächt sich eben.


Es gibt auch Habenichtse, die nur den Rasen anderer bewundern können. Ihnen wird sehr schnell der blanke Neid nachgesagt. Die störrische Antwort lautet: wer hat, der hat. Dabei wird gerne übersehen, dass es zur Strafe oft die Maulwürfe gibt, die eine Wiese problemlos mit ihren Haufen übersäen können. Wohl dem, der einen Weg aus diesem Dilemma gefunden hat.

Eigentum verpflichtet, das weiß jeder, der Steuern bezahlt. Es ist meist nicht viel aber etwas ärgerlich.  Dazu kommen die Feste: Weihnachten, Ostern, Geburtstage, Hochzeiten, Gedenkfeiern und Ähnliches. Hier werden Erwartungshaltungen an uns herangetragen, die uns vor allem an düsteren Regentagen zu allem anderen noch zusätzlich belasten. Es ist  oft wie vertrackt, was alles zusammen kommt.


Jetzt haben wir diesen Trump, seines Zeichens gewählter amerikanischer Präsident, der uns den gesunden Menschenverstand ganz schön durcheinander schüttelt. Dieser Irre hat uns gerade noch gefehlt. Was hat er schon alles gesagt und, womöglich, gedacht. Dabei beunruhigt auch alles gleichermaßen, was er nicht sagt oder denkt.


Eigentlich hat er bei uns nichts zu melden. Doch das Internet, das uns allen auf der Leitung sitzt, spricht eine andere Sprache. Er kann es sich leisten, denn bei seinem Riesenvermögen kann ihm so schnell keiner was anhaben. Er ist finanziell abgesichert. Gehört zu den Unverletzlichen. Wenn auch auf einer der unteren geistigen Stufen, wenn diese Feststellung noch erlaubt ist. Was machen wir mit solchen Kreaturen?


Donnerstag, 7. Juni 2018

New one: mein lieber schwuler Freund

Er lebt noch, und ich bin froh darüber. Ob er im Leben glücklich geworden ist, weiß ich nicht. Es wäre schön. Sein Lächeln konnte sibyllinisch sein. Die Göttin der unaufgeforderten Voraussage, Sibylle, hinterließ ihm dieses Lächeln, das ich von Anfang an nicht ganz zu deuten verstand. Als ich mit Studentenfreunden einen vierten Wohngenossen für eine bäuerliche Wohnung auf dem Land suchte, tauchte er auf. Als Freund eines der drei anderen Freunde, der auch im Medizinstudium war. Gerne wurde er willkommen geheißen, denn er besaß zu allem auch noch ein Auto. Das machte die wenigen Kilometer zur Uni für uns alle etwas komfortabler. Radfahren war nicht so mein Ding.

Das schönste von allen? 
Die Jahre vergingen. Es wurde geheiratet: Jeder von uns fand eine geliebte Frau. Der Indonesier - ein wahrer Schatz - fand in Hamburg eine wunderhübsche Landsmännin (sic!). Sie leben jetzt in den USA. Kinder und Kindeskinder inbegriffen. Der Franzose verliebte sich heftig und für immer in seine deutsche Arzttochter, die ihm nach Paris folgte. Unser lächelnder Freund heiratete eine süße Indonesierin, die zuhause von ihrem Vater mißbraucht worden war und beschlossen hatte, nie mehr in ihre Heimat zu gehen. Zwei Gründe mag er gehabt haben: als frisch gebackener Arzt für sie eine solide Basis zu schaffen, und gleichzeitig selbst vom Ruch des Gleichgeschlechtlichen loszukommen.

Der Ruch des Gleichgeschlechtlichen 
Bei einem Besuch in Berlin erfuhr ich zweierlei: die Ehe war geschieden, freundschaftlich, und der  Freund mit dem geheimnisvollen Lächeln lud mich in eine Bar ein, in der sich zu meinem Staunen am Tresen ein Männerpaar schüchtern küsste. Mein Freund lächelte und sagte mir: so bin ich auch. Dann, endlich, hatte ich verstanden. Mein Verhältnis zu ihm wurde dadurch jedoch nicht berührt. Wir hatten nie darüber gesprochen, doch war ich froh, dass er so offen war.

Gleichgeschlechtlicher Ruch??? 
Heute ist er ein Internetgenosse, von dem ich gelegentlich etwas erfahre. Viel ist es nicht, doch unsere Freundschaft ist darüber nicht gestorben. Allein, wir sehen uns nicht mehr, denn es fehlt die Motivation. Freuen würde es mich dennoch, denn ein Leben ist mehr als eine Episode. Irgendwann ist es vorbei. Unter den Fragen, die für mich offen bleiben: Warum bin ich nicht mehr Teil deines Lebens? Oder bin ich es noch? Deine geliebte Ex schrieb mir damals einen Brief, den du lesen hättest können. Er war so voll Hochachtung, Bewunderung und menschlicher Nähe. Sie heiratete dann wieder und ist hoffentlich glücklich.

Alte Freunde? Nie und nimmer!
Mir fehlen manche alten Freunde, mit denen ich viel teilte. Was wir nicht mehr schaffen ist, die losen Enden zusammenzuknüpfen und für Momente so glücklich zu sein, wie wir es bewusst nie waren. Wir haben gegeben und genommen und doch keine Schuld(en) hinterlassen. Uns keine Schrecklichkeiten zugemutet. Natürlich weiß ich, dass schon unser Anblick nach 50 Jahren so etwas wie eine Zumutung bedeuten kann. Ist es wirklich so grauenhaft? Und: So, what?




  

Dienstag, 5. Juni 2018

Erdogan hat die Menschenrechte eingeführt.

Dies behauptet der türkische Außenminister. Dreist läßt er verlauten, die Türkei sei ein demokratisches Land. Doch, die Dinge liegen einfach: Solange tausende Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen, ohne eine Anklage erhalten zu haben, ist die Türkei eine Diktatur. Es gibt viele Kriterien, an denen man das festmachen kann. Und wenn türkische Bürger auch noch im Ausland verfolgt werden, wegen nichts und wieder nichts, dann hat ein Diktator Angst um seine Macht.


Vielleicht sind es gerade unsere türkischen und deutschen Mitbürger (die mit den türkischen Wurzeln), die einmal gegen Erdogan demonstrieren, ein andermal uns klar machen, dass die Meinungsfreiheit auch für sie Gültigkeit besitzt. Der große Irrtum der Machthaber ist immer die unverfrorene Vermutung, dass vor allem Minderheiten geistig eher unterbemittelt sind. Und dass man Propaganda auch in kleineren Dosen verabreichen kann.


Auch auf die Tatsache, dass Lügen durch ständiges Wiederholen allmählich zur Wahrheit werden, fallen nicht automatisch alle Menschen herein. Manche haben im Lauf ihres Lebens und ihrer Geschichte zu unterscheiden gelernt. Leider bleibt auch bei Lügen immer etwas hängen. Das wissen die Verursacher. Deshalb versuchen sie es zunächst mit Raffinesse. Wie weit kann ich gehen, bevor die andere Seite nicht laut aufjault? Deshab kann die Farbe Braun, aber nicht nur, mit einem leisen fäkalen Hinweis schon, Unheil anrichten. Wie oft beginnt der Ärger mit der Vokabel Scheiße?


Alle rechtsangehauchten Subjekte sollen sich daher zu ihrer Farbe bekennen. Die Grünen tun das ja auch. Und die Roten weichen der Farbzugehörigkeit in der Regel auch nicht aus, wobei sie sich gerne in gemäßigte und knallige Farbtöne aufsplittern lassen. Während Grau als Farbe sich nicht leicht festlegen lässt, ist Schwarz so gut wie vergeben: rechts-konservativ, gewaltfrei, aber etwas bescheuert. Wer rot sieht, sieht gerade nicht schwarz. Kann aber Ärger bereiten. Bei Erdogan sehen viele schwarz, weil er seine ökonomischen Aufgaben nicht gemacht hat. Lassen wir also unsere türkischen Freunde ihre Wahlen durchführen. Solange ihr Kreuzchen unkontrolliert in die Urne fällt und das Auszählen der Stimmen stimmt, können wir vertrauen.

1000 und 1 Nacht 
Dass Erdogan die Menschenrechte eingeführt hat, muss man nicht glauben. Tausend und eine Nacht ist in der Politik ein hartes Brot, auf das man nicht leicht hereinfällt. Auch andere haben sich daran schon ihre Zähne ausgebissen. Und Rapunzels Zopf ist auch nicht immer lang genug. Bei der Wahrheit bleiben und alte Zöpfe abschneiden ist in der Politik, nicht nur im Wahlkampf, eine vielversprechende Technik. Und, Herr Erdogan: Lügen haben kurze Zöpfe. Aber, davon verstehen sie nix.

Samstag, 2. Juni 2018

Fliegenschiss oder so

Nannte der naziverdächtige Gauleiter das Dritte Reich, womit er natürlich recht hatte. Doch ganz so ernst möchte man es nicht nehmen. Gauland heißt der Knabe, der gerne vieldeutige Sprüche macht, um sich bei seinen rechtswabernden Anhängern in der Republik unmadig zu machen. Ein bisschen herumspielen genügt nicht, wenn man mit der deutschen Vergangenheit fertig werden möchte. Die Nazis sind für den Tod von Millionen Menschen, Juden und Nicht-Juden, verantwortlich gewesen. Heute besteht die Gefahr, dass das alles relativiert wird. Wir Nachgeborenen müssen uns betroffen fühlen, auch wenn wir keine Verantwortung tragen.

Altnazi? Neunazi? 
Es ist die Menschenverachtung, der Mangel an Warmherzigkeit, die Indifferenz, die uns zu schaffen machen. Sogar dem großartigen Politiker Helmut Schmidt hat man oft Kaltschnäuzigkeit nachgesagt. Die Mogadischu-Affaire, 1977, in die der Kanzler Schmidt zutiefst verwickelt war, hat uns eines besseren belehrt. Kühler Kopf und klare Gedanken kamen zum Einsatz. Das waren damals die Werkzeuge Helmut Schmidts. Als Organisator der Wasserkatastrophe von Hamburg, hatte er bereits seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Willy Brandt war der Kanzler der Herzen, Helmut Schmidt der Kanzler des Verstandes, weltweit geschätzt, was für einen deutschen Politiker eine besondere Auszeichnung war.


Auch wenn der AfD-Bonze Gauland von Vogelschiss der Geschichte sprach, nicht von Fliegenschiss, mag man die darin liegende Verachtung für die Nazizeit nicht abnehmen. Starke Worte sind nicht immer als Waffe gemeint. Manchmal gelten sie auch als Werkzeug, das nur zufällig herumliegt. Helmut Schmidt, dessen 100. Geburtstag wir in diesem Dezember feiern könnten, wurde von Helmut Kohl in unrühmlicher Weise abgelöst. Doch beide konnten dem Verdacht entkommen, rechtsdenkende Politiker gewesen zu sein.


Ein hochintelligentes Buch ist mir gerade in die Hände gefallen. Darin lese ich jetzt mit wachsender Zustimmung: Helmut Schmidt: Außer Dienst. Eine Bilanz. Ein Glück, dass wir diesen klugen Geschichtsversteher als Kanzler hatten. Keine Spur von Selbstbeweihräucherung. Eher ein gutes Maß an Selbstkritik. Das steht einer Nation wie den Deutschen, die oft als rechthaberisch daherkommen, gut zu Gesicht. Mehr muss dazu nicht gesagt werden.