Dienstag, 29. Mai 2018

Die Kirsche. Was sonst?

Drei Jahre in Wien, dann zwei in England. Wien bot wenigstens reife Kirschen feil, wenn man sich zum Wochenmarkt bemühte. Ich wäre mir selbst um den Hals gefallen, hätte ich nur den Ansatz eines Kirschbaums im Vereinigten Königreich gesehen. Aber, nein, dieses feine Land, das andererseits über eine sicherlich Kirschen essende Monarchin verfügt, hat es nicht so mit diesen weiß bis tiefroten Kullern, die Knaben, aber nicht nur, in Zustände des Glücks versetzen können, wenn sie lachend und verführerisch von den Bäumen hängen (nicht die Knaben, natürlich!).


Ein Glück, dass ich noch als Studiosus in der Nähe des Kaiserstuhls weilen durfte, wo  Kirschen, wenn man es richtig anstellte und sich einfach auf den Rücken legte, dir quasi in den Mund hängen konnten. Man konnte sogar ein bisschen doof sein, hauptsächlich die Finger waren flink. Schon hatte man in wenigen Minuten den Bauch voll. In manchen Gegenden konnte man sich auch hurtig von Baum zu Baum schlängeln und das Kirschenklauen wandernd  in Raten vollziehen. Das schlechte Gewissen sah das gerne.


Was liebende Mütter wegen der offensichtlichen Kirschsucht der Kinder so drauf hatten, war der Kirschplotzer, sozusagen ein Kuchen im Kaiserformat, voll mit schwarzen Kirschen. Gewöhnlich wurde der Plotzer als Hauptmahlzeit angeboten, mit einer sättigenden Kartoffelsuppe eingeleitet, damit auch für Oma noch ein Stückchen Kuchen übrig blieb. Der kindliche Magen musste sich zuweilen sehr bemühen, die Zufuhr von Kalorien zu verkraften. Doch Kinder schaffen das mit links.

Das Chriesewässerli galt für Erwachsene als hochwillkommenes Nebenprodukt. Nach einem reichhaltigen Essen durfte der Kirsch, oder das Kirschwasser nicht fehlen. Vor allem Onkeln und Tanten war es eine liebe Pflicht, Eltern mussten aus erzieherischen Gründen davon Abstand nehmen. Etwas beschönigend nennt man es Wasser, Kirschwasser. Wenn die Flasche gebracht wurde, sah sie eher nach Wasser als nach Kirsch aus. Auch der Herr Pfarrer wusste das und gab sich gerne dem frommen Schnorren hin, sollte er gerade eine Kindstaufe hinter sich haben.


Trotz des schwer alkoholischen Aspekts dieser Verkostung konnte die Kirsche über Jahrhunderte hinweg ihre Unschuld als süße Kinderspeise voll bewahren. Und nach all den Verirrungen (Wien, Yorkshire) sitzen wir in unserem Garten im Schwarzwald und warten auf den letzten Schliff, den der Schöpfer unserer  einzigartigen Frucht verleihen möge. Ich selbst war immer der Meinung, dass ich trotz einiger Macken zu denen gehöre, mit denen gut Kirschen essen ist.


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