Donnerstag, 5. April 2018

Postkarte aus Riesa.

Jetzt habe ich sie schon wieder verlegt. Die Postkarte aus Riesa an einen Herrn, der mein Großvater gewesen sein muss, denn mein Papa, der auch wie sein Vater, Karl, hieß, war damals erst 21 und lebte nicht mehr in der Kronprinzenstraße in Pforzheim in Baden, das noch im Februar 1945 fast gänzlich zerstört wurde. Von feindlichen Bomben. Hier ist sie.

Wo liegt Riesa? 
Die Karte zeigt die Trinitatiskirche in Riesa, und der Poststempel zeigt den 3.3. 1922. "Mein lb. Freund, da ich seit einiger Zeit auf Reisen bin..." Die Briefmarke des Deutschen Reichs kostete 1, 1/2 M? Mark? Reichsmark? Inflation? Der Stempel besagt: WURZEN. Ein Städtchen in Sachsen, ca. 16.000 Einwohner. Einige davon sind rechtslastig und leisten sich dort  heute Unfreundlichkeiten mit Ausländern. Traurig.

Wo liegt Wurzen? 
Man sagt, dass der deutsche Osten für nazifreundliche Gedankenspiele anfälliger sei, als der Westen. Ich glaube, wir sind alle etwas anfällig. Lange haben wir uns geschämt, unser Land zu lieben, während sich andere geradezu fanatisch für ihre Heimat ins Zeug legen konnten. Und heute fällt es uns immer noch schwer, unsere Hand an die Brust zu legen und Heimatliebe schwulstig zu bekennen, wie es Amerikaner tun. Das muss aber auch nicht sein.

Wo liegt Amerika? 
Wer die faschistische Vergangenheit Deutschlands kennt, sollte unbedingt auch ein wenig über die harmloseren Zeiten des Vaterlandes nachdenken. Deutschland hat vieles hervorgebracht, von dem die ganze Welt heute zehrt. Den Kindergarten, das Radar, die Zündkerze, Eis am Stiel, und die Zahnpasta. Diese Beispiele können genügen.

Tätschelkultur? 
Einer meiner Geograhielehrer verlangte von uns Schülern, über die Pfingstferien Vorträge auszuarbeiten, die wir in der Klasse vortragen konnten. Mein Thema lautete: die kulturellen Leistungen Deutschlands. Internet gab es noch nicht. Mein Vater sagte damals: dieser Kerl spinnt. Ich brauchte eine Woche, um herauszufinden, dass er recht hatte. Ich versank geradezu in einem Wust kultureller Leistungen, die irgendwie dämlich aufgelistet wurden. Ich hätte ihm meine Entdeckungen vor die Füße schmeißen sollen. Seitdem weiß ich, dass kulturelle Leistungen eines Landes nur geschwafelter Unsinn sein können. Und die Postkarte aus Riesa ist bald 100 Jahre alt.



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