Donnerstag, 15. März 2018

Die Dinge ordnen.

Wer unheilbar krank ist, weiß sicher ganz gut, was er zu tun hat. Man richtet sich darauf ein, bald nicht mehr zu sein. Aber wie verabschiedet man sich aus dem Leben? Kitsch und Penetranz sind nicht die richtigen Ansprechpartner. Man möchte in Würde, vielleicht ein wenig heroisch, jedoch ohne Selbstmitleid in eine Art ewiger Jagdgrund hinüberwechseln. Gewöhnlich hat man keine Erfahrung damit. All die Menschen, die man ein Leben lang geliebt hat. Wie sagt man ihnen Adieu?
Und all die Dinge, auf die man so großen Wert legte? Sie verlieren ihre Bedeutung. Auch die Erinnerungen. Wo sind sie? Wird man sie mitnehmen können? Mit wem kann man sie teilen?

Es läuft alles darauf hinaus, dass nichts mehr so wichtig ist. Oder ist noch was wichtig? Man selbst zu sein? Nahestehende Menschen sind schon längst ins Vergessen geraten. Zufällige Begegnungen erscheinen irreal. Man ist nicht mehr davon berührt. Wer das Alter erreicht hat, bei dem sich die körperlichen Gebrechen durchgesetzt haben, wird sich vielleicht besser auf den Rest einstellen können. Dennoch, man möchte nicht aufgeben. Leben ist eine Gabe, eine Bürde zuweilen, doch es ist das, was man persönlich aufgetragen bekommen hat. Wie kommt man da heraus, ohne einfach wegzutreten wie eine nummerierte Causa? Es geht nicht darum, große Spuren zu hinterlassen.

Dennoch möchte man in liebendem Gedächtnis bleiben. Wie die Eltern, deren Grab man nach Jahren besuchen will, weil man in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet hat, und das man nicht mehr findet, weil es nach 25 Jahren einfach eingeebnet wurde. Ein Schock, festzustellen, dass die lieben, lieben Eltern keine Grabstätte mehr haben. Ausgelöscht.

Vielleicht schaffe ich es noch, die letzten Behausungen in der exakten Reihenfolge aufzuzählen. Fribourg/Schweiz. Paris. Straßburg. Kehl. Bellapais/Zypern. Wien. Haworth/Yorkshire. Tiergarten/Schwarzwald. Endstation? Es steckt noch ein gutes Maß Leben in mir. Aber, bin ich es noch? Muss ich es sein? Bin ich bei der Resteverwertung meiner eigenen Existenz? Kehre ich zu meinen Ursprüngen zurück? Welches Glück, sich noch ganz gesund zu fühlen.

Meine Lieben, ich möchte sie alle nocheinmal sehen, bevor ich gehe. Dazu brauche ich Zeit. Gebt sie mir, bitte. Ich werde dann auch alle meine Angelegenheiten ordnen. Falls das überhaupt gewünscht
wird. Wer aus dem Chaos gerissen wird, hat es vielleicht besser. Wer sagt denn, dass am Anfang alles pikobello war? Wenn ich diese Welt verlassen muss, dann zu meinen eigenen Bedingungen, please. In der Unordnung, die ich als Baby angetroffen habe und gewohnt bin. Und in dem Chaos, das mich nie besonders störte, und das jetzt weitgehend hinter mir liegt.

Mein Führerschein ist ein gerade noch leserlicher Fetzen. Er fällt in Stücke. Dreimal oder so, musste ich ihn vorweisen. Das ist wenig. Der Polizist in Frankreich wollte, dass ich eine internationale Version davon machen lasse. Ich sagte "ja" und vergaß es wieder. Die Zahl meiner Autounfälle: 0,0. Mein Impfschein: uralt und unverständlich. Kaum Eintragungen. Meine Mitgliedschaft beim Roten Kreuz: uralt. Militärdienst: Keiner.
     








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